Mittwoch, 2. Januar 2008

CSI Kriminalabteilung Bratislava, Artikel "Tyzden Nr.44"

Die slowakische Wochenzeitschrift Tyzden http://www.tyzden.sk/ (die Woche) hat sich in den vergangenen Wochen mit der Cauza "Cervanova" auseinandergesetzt. Ich habe die Erlaubniss bekommen die Reihe von Artikeln zum Thema Cauza "Cervanova" zu übersetzen und in meinem Blog veröffentlichen. Das Magazin Tyzden könnte man inhaltlich zum österreichischen Profil und deutschen Spiegel vergleichen. Selbstverständlich in einer kürzeren Fassung und mit weniger Auflagen. Es ist besonders wichtig, dass die Cauza "Cervanova" von dieser Zeitschrift in mehreren Folgen dargestellt wurde. Hiermit möchte ich mich beim Redakteur des Magazins Martin Mojzis für seine analytische und wissenschaftlich fundierte Beiträge herzlichst bedanken!

Originallink:
http://tyzden.sk/sk/spolocnost/veda44_01.php


Die TV Serien CSI (crime scene investigation) handeln von der Arbeit forensischer Kriminalisten aus Las Vegas, Miami und New York. Sie sind zwar nicht gerade realistisch, eines kann man ihnen aber lassen – Millionen Menschen wissen dank dieser Serien, welche wichtige Aufgabe die wissenschaftlich fundierten Methoden in der Kriminalistik haben.

Heute kann sich jeder normaler Zuschauer ganz gut vorstellen, welche Bedeutung die Beweissicherung am Tatort hat, welche Details die Leichenobduktion entdecken kann und welche Präzision bei der Auswertung von Beweisen gefragt ist. Es ist heute nicht nur den Professionellen sondern auch für die Laien mehr oder weniger klar, dass die Wissenschaft bei der Entlarvung der Straffälle sehr nützlich sein kann.
Es gibt leider Fälle, wo die Wissenschaft den Kriminalbeamten einen Strich durch die Rechnung macht. So wie es im bekanntesten Kriminalfall der Slowakei, in der Causa Cervanova“ der Fall ist. Es ist ersichtlich, dass es die Kriminalbeamten und der leitende Staatsanwalt mit den wissenschaftlichen Fakten nicht gerade leicht gehabt haben. Wahrscheinlich konnten sie sich nur durch ihre erstaunenswerten moralisch- willenstarken Eigenschaften mit den wissenschaftlichen Unannehmlichkeiten abfinden.

  • Leichenobduktion und Gewalt

Wie allgemein bekannt ist, haben die Kriminalbeamten nach fünf Jahren Ermittlungen herausgefunden, dass am 9.7.1976 Ludmila Cervanova von sieben Männern entführt, unter Gewaltandrohung betrunken gemacht wurde, mehrmals wiederholt vergewaltigt und anschließend ertränkt wurde. Der Körper des Opfers wurde anschließend nach fünf Tagen in einem Bach in Kralova pri Senci gefunden. Die Leichenobduktion hat ihnen auf den schweren Weg zu diesen Schlüssen aber nicht gerade geholfen.
Erstes Problem ergab sich dadurch, dass „durch die Ausführliche Obduktion der inneren und äußeren weiblichen Geschlechtsorgane die Gutachter keine Spuren der Gewalt feststellen konnten, die darauf andeuten würden, dass mit der Genannten Geschlechtsverkehr oder andere sexuelle Manipulation getätigt wurde“. Die Beschlüsse der Leichenobduktion waren trotz fortgeschrittener Zersetzung/Verwesungsphase des Leichnams in diesen Fall vollkommen eindeutig. MUDr Porubsky, der die Obduktion getätigt hatte, besteht noch heute darauf, dass sie damals bei der Obduktion überhaupt keine Spuren sexueller Manipulation gefunden haben.
Die Präsenz von Spermien wurde ebenfalls nicht festgestellt, weil diese nicht einmal untersucht wurde. Angeblich wegen des Zersetzung/Verwesung des Leichnams. Damit haben sich die Pathologen nicht gerade ausgezeichnet. Die Präsenz der Spermien, trotz Zersetzung und Verwesungsphase konnte und sollte eigentlich überprüft werden. Nebenbei nennt der Obduktionsbericht bei der Mehrheit der Organe, welche genauen Verwesungsprozesse bereits eingetreten sind. Ausschließlich im Falle der Gebärmutter und der Eierstöcke werden solche Verwesungsspuren nicht genannt. Der Zustand des Hymens ist sogar mit keinerlei Verwesungsspuren sehr eindeutig im Obduktionsbericht beschrieben.
Die nächste Unannehmlichkeit aus der Sicht der Anklage waren die Spuren der Gewalt am Leichnam. Außer zwei kleiner Prellungen, die auch zufällig bei jeder Tätigkeit passieren konnten, wurden keine Spuren der Gewaltanwendung gefunden. Laut Kriminalbeamten und der Staatsanwaltschaft wurde dem Opfer eine Menge an Brutalität angetan – angefangen von gewaltsamer Entführung, gewaltsamer Eingießung von Wein in den Mund und mehrfachen Vergewaltigung bis hin zur Ermordung durch Ertränken.
Wie konnte dies ohne jegliche Spuren passieren? Könnte es dadurch erklärt werden, dass die Spuren der Brutalität für die Pathologen durch die Verwesung der Leiche verdeckt blieben? Wie ist es dann aber möglich, dass die Obduktion zwei kleine Prellungen entdeckt hatte?
In der Frage der Gewalt und der Vergewaltigung befand sich die Wissenschaft und die Anklage in einem Widderspruch. Falls die Version der Kriminalbeamten und der Staatsanwaltschaft wahr ist, dann müsste man zugeben, dass in diesem Fall die Wissenschaft vollkommen versagt hatte. Und umgekehrt.
Trotz scheinbar unüberwindbarer Widersprüche konnten die Pathologen und Staatsanwaltschaft einen gemeinsamen Nenner finden. Der Gutachter MUDr. Porubsky sagte seit dem Gerichtsverfahren im Jahre 1982 folgendes: „die Spuren der Vergewaltigung haben wir zwar nicht gefunden, diese ist aber wegen der Veränderungen auf Grund der Verwesung nicht auszuschließen“. Mit anderen Wörtern gesagt, meint er in seiner Schlüsselaussage, dass die Obduktion, die er durchgeführt hatte, nichts zu sagen hat. In der Hauptverhandlung am 4.2.2003 antwortete er auf die Frage, ob er einräumen könnte, dass es zu einer mehrmaligen Vergewaltigung kommen konnte: „Wir haben solche Spuren nicht festgestellt, darum haben wir es in unserem Gutachten so formuliert, dass der Geschlechtsverkehr mit mehreren Männern auch ohne Gewaltspuren möglich sei“. Auch solche Gutachter haben wir.

  • Leichenobduktion und Alkohol

Im Punkto Alkohol war der Obduktionsbericht und die Anklageversion in scheinbaren Einklang: „Im Blut des Opfers wurde 0,79 Promille Alkohol gefunden, was einem alkoholisierten Zustand zum Zeitpunkt des Todes entspricht.“ Wahrscheinlich sind gerade anhand dieses Ergebnisses der Obduktion die Kriminalbeamten auf die Idee der gewaltsamen Alkoholisierung des Opfers gekommen.
Sind 0,79 Promille viel oder wenig? Es ist nicht extrem viel, bei diesen Werten darf man in Großbritannien und Kanada sogar noch Auto fahren.
Diese Zahl sagt aber nicht viel von der Alkoholmenge zum Zeitpunkt des Todes aus. Dies aus zweierlei Gründen: Ersten sinkt die Konzentration von Ethyl- Alkohol im Blut nach dem Tod. Nach fünf Tagen sogar bis auf die Hälfte des ursprünglichen Wertes. Zweitens steigt die Konzentration von Alkohol im Blut als Folge der Verwesung bis zu einem Wert von 1 Promille. Anders ausgedrückt, der gesamte Alkohol, der bei der Obduktion gefunden wurde, stammt aus dem Verwesungsprozess.
MUDr. Fiala macht in seinem gerichtsmedizinischen Gutachten aus dem Jahr 2004 deutlich, dass die ursprüngliche Interpretation der Untersuchung der Ergebnisse vom Ethyl- Alkohol im Blut grundfalsch war, und das Gegenteil „ist aus der gerichtsmedizinischen Hinsicht zu bestätigen, was heißt, dass Ludmila Cervanova zum Zeitpunkt des Todes nicht alkoholisiert war“. Mehr ist dazu nicht zu sagen, weil außer der Überprüfung der Spuren von Spermien noch eine weitere grundsätzliche Untersuchung fehlt, nämlich die toxikologische.

  • Leichenobduktion und Mikroorganismen

In der Frage der Todesursache des Opfers, welches mit verbunden Händen in einem Bach gefunden wurde, herrscht zwischen dem Obduktionsbericht und der Anklage Einigkeit. Nämlich die Festlegung der Todesursache durch Ertrinken. Zwar fehlen im Obduktionsbericht viele Befunde, die das Ertrinken normalerweise begleiten, es beinhaltet zumindest das Auffinden von Mikroorganismen in der Leber und in der Lunge, die typisch für stehende und fließende Gewässer sind.
Dies war eine nützliche Erkenntnis. Im Falle einer ausführlichen Analyse der relativen Vertretung einzelner Arten dieser Mikroorganismen und im Vergleich mit der analogischen Analyse der Wasserprobe aus dem Fluss konnte man feststellen, ob das Ertrinken in dem Wasser stattgefunden hatte, in dem der Körper gefunden wurde. Bei der Begutachtung des Fundortes der Leiche wurden zwei Wasserproben entnommen und an die Expertise geschickt. Dies bedeutet, dass die Wissenschaft bei der Überprüfung zumindest bei dieser Tatsache nichts hinderte. Leider wurde nichts Bedeutungsvolles festgestellt, die Analysen der Wasserproben aus dem Fundort sind verloren gegangen und die Analyse der Körperteile war zu grob. Dies war sehr schade, weil anhand der Anklage das Ertrinken nicht im Bach (also Fundort) sondern in dessen Nähe, in einem Thermalsee stattgefunden hatte. Die Anklage hat dies dadurch wiedergutmachen wollen und fünf Jahre später Wasserproben aus dem angeblichen Tatort entnommen. Selbstverständlich haben sie eine Analyse machen lassen. Aus drei der Arten von Mikroorganismen aus dem Thermalsee, wurde nur eine einzige Art in der Lunge und Leber des Opfers gefunden.
Solch eine partielle Übereinstimmung und partielle Nichtübereinstimmung in den Proben, die nach fünf Jahren entnommen wurden, sagt selbstverständlich nichts aus. Beim Gericht wurde dies aber trotzdem als Beweis benutzt, um die Version der Anklage zu stützen. Wie und warum bleibt bis heute ein Rätsel. Obwohl man die Antwort auf die Frage, wieso die Anklage solch kuriose Beweise benutzt hatte, vermuten könnte. Die Anklage konnte ja den Fall doch nicht ohne wissenschaftliche Beweise lassen.


EXKURS: "Für kluge Köpfchen"

  • Laut Polizeiprotokolls der Begutachtung des Fundortes, hatte die Leiche die Zehennägel rot lackiert. Dasselbe hat die Ärztin bestätigt, die zur Begutachtung der Leiche am Tatort gerufen wurde. Im Obduktionsbericht steht keinerlei Erwähnung zu dieser Tatsache, wobei MUDr. Porubsky an den Gerichtsverhandlungen in den 90er Jahren behauptete, dass sie keine lackierte Nägel festgestellt haben, und falls doch, dann würde es im Obduktionsbericht und im Gerichtsgutachten drinnen stehen. Kann man daraus schließen, dass die Pathologen einen anderen Körper obduziert haben?

(richtige Antwort: Nein, es musste kein anderer Leichnam sein. Die Möglichkeit, dass sie einen anderen Körper obduziert haben ist zwar logisch aber nicht die einzige Möglichkeit. Außerdem gibt es hier noch eine weniger bizarre Alternative, nämlich dass die Pathologen bei der Obduktion wirklich viel vernachlässigt haben, inzwischen auch solche Trivialitäten.)

  • Stellt solch ein schlampiger Obduktionsbericht ein Problem für die Staatsanwaltschaft, die Verteidigung und das Gericht dar?

(richtige Antwort: Für die Staatsanwaltschaft stellt es ein Problem dar. Dass der Obduktionsbericht so wenig mit der Anklage korrespondiert, ist nicht gerade angenehm. Für die Verteidigung stellt diese Tatsache ebenfalls ein Problem dar. Falls der Obduktionsbericht keine eindeutigen Schlüsse beinhaltet, kann jedes Argument der Verteidigung zumindest angezweifelt werden. Für die Gerichte stellt es kein Problem dar.) IN DER SLOWAKEI IST ES SO!

.martin Mojžiš