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Die Anklage wegen Mordes und Vergewaltigung der aus Nitra stammender Männer hat 73 Seiten. Auf diesen 73 Seiten beschäftigen sich nur zwei mit den Ergebnissen der kriminalistischen Expertise. Der Rest beinhaltet nur die Tatbeschreibung und psychologisch- sexuelle Gutachten der Angeklagten.
Diese zwei Seiten widmen sich dem Obduktionsbericht und den hydrobiologischen Befunden von denen wir in unserem letzten Artikel berichtet hatten. Außerdem handelt dieser zweiseitige Teil der 73 Seiten langen Anklage noch von den Haaren noch von den Textilfäden, die am Körper des Opfers gefunden wurden. Diese wurden im Rahmen der Begutachtung des Tatortes im Juli 1976 gesichert und an die Kriminaldirektion des Innenministeriums in Prag geschickt. Das eindeutige Ergebnis der Prager Expertise war, wie es wörtlich in der Anklage fünf Jahre später steht: „Das trichologische Material ist in allen Proben menschlicher Herkunft. Alle Haare, außer zwei, die sich auf dem blauen Pulli von Ludmila Cervanova befanden, entsprechen den Haaren von Ludmila Cervanova.“
- Die Föderalbeamten
Wie sind die Föderalbeamten auf diese Tatsache gekommen? So, wie es in allen Laboratorien der Welt üblich ist, nämlich mittels Mikroskop. Fakt ist, dass man aus den Haaren eine chemische Analyse und eine DNA Analyse machen kann. Die Erste wird vor allem bei der Feststellung von fremdartigen Stoffen durchgeführt und die zweite ist mittlerweile gängig. Wir sprechen hier aber vom Jahr 1976.
Die Mikroskopische Analyse wird schon seit einhundert Jahren in der Kriminalistik durchgeführt. Obwohl sie nicht so präzise und eindeutig ist, wie zum Beispiel Daktyloskopie, kann sie aber viel aussagen. Laut Beitrag in Microscopy of Hair, publiziert im Januar 2004 in der Zeitschrift Forensic Science Communications, die von der FBI herausgegeben wird, ist es in einem mikroskopischen Vergleich zufällig entzogener Haare von verschiedenen Personen nicht üblich, dass man diese Haare nicht voneinander unterscheiden könnte. Der Vergleich der Haare ermöglicht somit keine absolut verlässliche Methode der Identifikation. Alle bisherigen Erfahrungen und unabhängige Labortests deuten aber darauf hin, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass zwei verschiedene Menschen die gleichen Haarcharakteristiken haben könnten. Bei der mikroskopischen Analyse einzelner Haare werden laut FBI - Regel die Zellenstruktur des Haarkortex, die Eigenschaften der Medulla (Mark der Haare), Cuticula (äußerste Schicht vom Haar) und fünf verschiedene Farbpigmente usw. untersucht. Beim Vergleich der Haare werden spezielle Vergleichsmikroskope benutzt, bei denen man zwei Proben gleichzeitig beobachten kann.
Mittels dieser Verfahren, was der schrittweise Vergleich einzelner Haare vom Tatort mit den Haaren von Ludmila Cervanova bedeutete, kamen die Prager Kriminalisten zum oben genannten Schluss, dass zwei Haare den Proben des Opfers nicht ähnelten und somit nicht identisch waren. Aus der Sicht der Weiterführung der Ermittlungen haben sie hiermit einen besonderen Trumpf bekommen. Falls die Haare eines x-beliebigen Verdächtigten der mikroskopischen Analyse der genannten zwei Haare entsprechen würden, wäre dies ein außerordentlich starkes Indiz für die Beteiligung an diesem Verbrechen.
Wie sind die Ermittler mit dieser potenziell überführenden Tatsache im Jahre 1981 umgegangen? Wie haben die Ermittler die Expertise der föderalen Kriminaldirektion des Innenministeriums bei der Festnahme der sieben aus Nitra stammenden Verdächtigen benutzt?
- XXII
Ein wörtliches Zitat auf Seite 55 vom 1.März 1982 lautet:
„Mit dem Vergleich der Haare der Angeklagten und den gesicherten Haaren am Körper von Ludmila Cervanova wurde festgestellt, dass sich die variable Streuung einiger Haare, gefunden am blauen Pullover von Ludmila Cervanova, mit den Haaren von Ludmila Cervanova und gleichfalls mit den Haaren vom Angeklagten Roman Brazda decken. Deswegen ist nicht auszuschließen, dass die Haare, gefunden am blauen Pullover von Ludmila Cervanova (Nr.1. 5/5 und 5/6), also Haare vom Angeklagten Roman Brazda sind. Die Haare des Angeklagten Lachman besitzen ähnliche morphologische Eigenschaften wie die Haare der L. Cervanova. Deswegen ist nicht auszuschließen, dass einiger der Haare, die morphologische Ähnlichkeiten mit den Haaren von L. Cervanova haben, auch Haare von J. Lachman sind. (Band XXII.,Nr.1. 1889 und folg.)“ Ende des Zitats.
Kein Zusammenhang mit den zwei fremden Haaren, nichts dergleichen. Nur eine vage Feststellung partieller Ähnlichkeit der Haare zweier Angeklagten mit den Haaren vom Opfer. Solche Haare wurden am Opfer mehr als genug gefunden. Was könnte man dazu sagen? Wahrscheinlich nur soviel, dass die Anklage vier Todesstrafen verlangte.
Die Staatsanwaltschaft hat noch ein weiteres spektakuläres „corpus delicti“ gefunden. Wieder ein wörtliches Zitat aus der Seite 55 der Anklage:
„Aus dem Gutachten der Föderalen Kriminaldirektion VB (Band XXII. Nr.1.1910 ff.) erfolgt weiter, dass die Textilfäden des Farbton schwarz 1990 und rot 8190, gesichert an der Kleidung von L.Cervanova, ähnliche Farbtöne wie die gesicherten Textilfäden aus dem Fahrzeug Kennzeichen NRA 15-76 (Fahrzeug von Roman Brazda) aufweisen.“
Das ist Alles. Mehr werden sie zu den Haaren und Textilfäden in den Akten nicht erfahren. Wie ist aber dies möglich? Immerhin, falls eine gründliche mikroskopische Analyse der Haare ausgeführt wurde, dann müsste es mit einer hoher Wahrscheinlichkeit klar sein, dass die zwei fremden Haare, gefunden am Pullover der L. Cervanova, jemanden von den Angeklagten gehören müssten. Und falls die Experten Textilfäden aus dem Fahrzeugbezug und vom Körper des Opfer zur Disposition hatten, was hat sie dann daran gehindert zu untersuchen, ob es sich um die gleichen Textilfäden handelt? Warum haben sie nur die Farbe und nicht auch die chemische Zusammensetzung verglichen? Nochmals: Wie ist es möglich, dass die Anklage so jämmerlich wenig zur Frage der Haare und Textilfäden enthält?
Naja, es ist nicht auszuschließen, dass im Jahr 1981 keine richtigen Vergleiche der Haare und Textilfäden durchgeführt wurden. Man hat schließlich in der Anklage diese oben genannten Tatsachen eingefügt. Wahrscheinlich nur, damit zumindest etwas, was im weitesten Sinne materiellen Beweisen ähnelt in der Anklage enthalten ist. Es ist aber ebenfalls nicht auszuschließen, dass die Vergleiche ordentlich gemacht wurden, diese aber überhaupt nicht mit der Anklage übereinstimmten und deswegen nur das oben genannte zitierte Bruchstück der Expertise eingefügt wurde.
- 22.00
Tatsächlich kann man es nicht ausschließen? Tatsächlich ist es möglich, dass die sozialistische Staatsanwaltschaft die Fakten dermaßen brutal zu Ungunsten der Angeklagten verdrehte? Die alleinige Anklage liefert uns keine weiteren wissenschaftlichen Argumente. Deswegen versuchen wir an die Logik anderer eingeführten Argumente anzuknüpfen. Ein Zitat aus der Seite 30 der Anklage vom Jahr 1982 lautet:
„Zeuge Lukas Karabinos (Band XVI. Nr.1.1450 und folg.) hat in seiner Aussage angeführt, dass er im Sommer 1976, auf den Tag kann er sich nicht mehr erinnern, ungefähr um 22.00 Uhr in der Nähe der Bushalterstelle beim Internat in Mlynska dolina, von einem Auto, das ihn geblendet hatte, fast überfahren wurde. Das Auto blieb stehen, ein junger Mann ist ausgestiegen. Dieser Mann hatte eher helle Haare, war dünner und eher größer. Er ist zum Zeugen gerannt und hat ihm Prügel angedroht. Dieser junge Mann ist aber anschließend auf Befehl des Fahrers wieder ins Auto eingestiegen, das weiter in Richtung Stadt gefahren ist. Das Auto hatte eine helle Farbe.“
Dieser Abschnitt bedeutet alleine nichts besonders. Alles ändert sich, wenn man ihn mit der ursprünglichen Zeugenaussage von Lukas Karabinos vergleicht. Es ist das Vernehmungsprotokoll der Verwaltung der ZNB (Bundespolizei) der Hauptstadt Bratislava Nummer VB-689/10-1976 aus dem Tag 28.9.1976. Dort steht dasselbe, was in der zitierten Anklage angeführt wurde, aber außerdem noch folgendes Detail:
„Bei weiteren Verhören hat er angeführt, dass er den Mann, der ihn am Halskragen gefasst hatte und verprügeln wollte, vom Sehen kennt. Dieser Mann studiert Sport und wohnt im Block K der Atriumhäuser des Ludovit Stur Internates. Konkret hat er die Türnummer 8 genannt…Dem Zeugen Karabinos wurden Fotos der Studenten, die in Block K wohnen, gezeigt. Unter diesen befand sich auch das Foto von Jan Hrma, der tatsächlich auf Zimmernummer 8 gewohnt hatte. Der Zeuge Karabinos hat eindeutig auf den genannten gezeigt. Ich füge hinzu, dass der Zeuge Karabinos ein Alkoholiker mit einem sehr geringen Intellekt ist.“
Jan Hrmo war bei den Ermittlungen des Mordes an Ludmila Cervanova im Jahr 1976 der Hauptverdächtige. Er wurde aber wegen einem eindeutigen und schwer anzweifelbaren Alibis entlassen. Dies bedeutet, dass die Zeugenaussage von Karabinos gegen Hrma evident eine falsche war. Die Ermittler mussten doch im Jahr 1981 wissen, dass dieser Zeuge überhaupt nicht glaubwürdig ist. Wie ist es dann aber möglich, dass aus ihm 1982 ein Zeuge der Anklage gemacht wurde?
Nicht auszuschließen ist, dass gerade solche Zeugen, die das bezeugt haben, was man von ihnen verlangte, für die Staatsanwaltschaft enorm interessant waren. Es ist auch nicht auszuschließen, dass, falls sie nicht genügend Zeugen gehabt hat, einfach welche instruiert hat. Und wir können überhaupt nicht ausschließen, dass wir in der nächsten Folge mehr dazu schreiben.
Exkurs für kluge Köpfe:
- Falls die Anklage solche Löcher hatte, wie ist es möglich, dass ihr die Gerichte und die Öffentlichkeit geglaubt haben?
(richige Antwort: Das Gericht und die Öffentlichkeit haben den Geständnissen einiger Angeklagten geglaubt, die der Hauptteil der Anklage bildeten. Das Gericht und die Öffentlichkeit haben den Angeklagten nicht geglaubt, dass diese Geständnisse mittels systematischen psychischen und physischen Drucks erpresst wurden.)
- Die Ermittler und der beaufsichtigte Staatsanwalt meinen, dass die Geständnisse spontan getätigt wurden, die Verurteilten und viele Zeugen meinen, dass sie erpresst wurden. Kann man feststellen, wer von ihnen Recht hat?
(richtige Antwort: Ja, man kann es sogar sehr eindeutig feststellen. Die Frage lautet nur, ob es die slowakischen Gerichte interessiert. Die Antwort lautet: ES INTERESSIERT SIE NICHT.)
.martin Mojžiš