Mittwoch, 16. Januar 2008

Causa "Cervanova" INTERVIEWS: Juraj Lachman

Am 7. Juli 1981 wurde J. Lachman verhaftet. Er figurierte in der Causa „Cervanova“ als „schlafende Zeuge“ nach einem Deal mit den Ermittlern. Da er vor Gericht ausgesagt hatte, dass er nie ein Mord oder Vergewaltigung sah, haben sie aus ihn einen schlafenden Zeugen gemacht: er war dort, hat die Tat bezeugt, hat aber geschlafen. Am 22. 9. 1982 wurde er vom Obersten Gerichtshof zu 4 Jahren Haft verurteilt. Seine Falschaussage hat er erst 1989 zurückgezogen. Am 4.12.2006 wurde er vom Obersten Gerichtshof der Slowakei zur 3 Jahren Haft wiederverurteilt. Das Interview hat am 17.12.2006 stattgefunden.

Warum haben sie gegen die Anderen und sich in den Jahren 1981-1983 falsch ausgesagt? Warum haben sie bezeugt dass diese Männer aus Nitra Mörder sind?
Im Prinzip war es so, dass sie mich genommen haben und ich von Nichts gewusst hab. Ich hatte quasi eine andere Straftat in dieser Zeit am Hals, sozusagen katholischen Charakters. Die Geheimpolizei (STB) hat mir gedroht, dass ich eine Straftat gegen die Gesetze der sozialistischen Republik begehe. Und als die Ermittler von der Polizei kamen, haben sie mir Aufnahmen von den Mitbeschuldigten vorgespielt. In den Fragmenten von diesen Audio-Aufnahmen haben sie mir einen Beweis präsentiert, dass ich zusammen mit den Anderen damals auf irgendeiner Party war.

Wie ist es dazu gekommen?
Am Anfang waren es harmlose Fragen, weil ich in der Zeit öfters in Bratislava war und in Bratislava sein konnte. Danach habe ich gestanden, dass ich möglicherweise zu dieser Zeit in Bratislava war, weil nichts darauf hingewiesen hatte, dass ich mich in so einen schweren Fall verwickle. Und dann nacheinender ist noch anderes dazu gekommen, ob ich an diesem bestimmten Tag dort war - ich habe gefragt: „Wie soll ich es nach so vielen Jahren wissen, ob ich an dem Tag dort war?“ sie haben weitergemacht: „…Wenn du es nicht weißt, könntest du doch an diesem Tag vielleicht doch dort gewesen sein.“ Also habe ich gestanden, dass ich möglicherweise dort war, und so hat es sich gesteigert. Zum Schluss haben sie mir die erwähnten Audio-Aufnahmen von Zeugenaussagen der Kronzeugin vorgespielt, die angeblich belegten, dass ich in dieser Gesellschaft und bei diesen Geschehnissen dabei war. Also bin ich dadurch in diese Sache verwickelt worden und es war sehr schwierig da wieder raus zu kommen. Und wie ich schon vorher gesagt habe hatte ich außer diesen Verhören noch andere Verhöre gehabt, die zu anderen Zeitpunkten und durch die Staatsicherheit (Geheimdienst) geführt wurden.
Sie haben am Anfang nie die „Eine Sache“ mit der „Anderen“ in den Zusammenhang gebracht. Die Geheimpolizisten haben mich der „Gefährdung der Republik“ beschuldigt, weil ich mich angeblich in Prag mit einer katholischen polnischen Gruppierung treffen sollte, in den Kneipen „U Fleku“ und „U Pinkasu“, wo ich Material von einigen Menschen angeblich übernommen habe und nach Nitra gebracht habe. In Nitra sollte ich angeblich die Distribution gewährleisten sollte. Es war in dieser Zeit eine sehr gravierende Straftat, weil es als Staatsverrat angesehen wurde, was eine höhere Strafe bedeutete, als dieser Fall. Für Staatsverrat würde ich 10-15 Jahre im schlimmsten Gefängnissen kriegen. Sie hatten Beweise, weil sie im Keller des Hauses meiner Eltern Cyklostylalkohol gefunden haben, was Ähnliches wie eine Laserkopierflüssigkeit. Man könnte Material damit vervielfältigen. Ich hatte eine eigene Wohnung aber sie haben eine Hausdurchsuchung bei meinen Eltern gemacht, weil dieses Gerät dort war. Also vielleicht hätte ich sogar meine Eltern mit hineingezogen.

Es heißt dass sie von der Polizei zum Fall „Cervanova“ und gleichzeitig vom Geheimdienst zum Staatsverrat verhört wurden?
Ich kann nicht beweisen, dass sie mich schließlich erpresst haben, weil es in den damaligen und in den jetzigen Akten nicht erwähnt ist. Die Verhöre waren von anderen Menschen getätigt. Somit bin ich in diese Situation geraten. Man muss aber sagen, vor dem Gerichtsurteil 1983 am Obersten Gerichtshof, wo man Todesstrafen verlangte, habe ich deutlich vor dem Senat ausgesagt, dass ich nie Jemanden vergewaltigen und morden gesehen habe.

Sie wurden dann aber wegen dem Fall Cervanova verhaftet?
Aufgrund der Tatsache, dass ich auch wegen Staatsverrat angeklagt werden könnte haben sie mich unter enormen Druck gesetzt. Als ich aber während der Untersuchungshaft von ihrem Szenar abgekommen bin, haben sie mich in eine einer Sonderabteilung gesteckt, wo gegenüber die Todeszellen waren. Einen gewissen Rigo, ein dreifacher Mörder, haben sie in meine Zelle gesteckt. Ich wusste dass er zum Tode verurteilt worden war. Ich habe ihn vorher gesehen, weil das Fenster an der Zelle abgekratzt war, also habe ich gewusst, dass er eine besondere Freiheitsstrafe zu verbüßt hat. Zufällig hat ihn mein Verteidiger auch verteidigt. Am nächsten Tag habe ich meinem Verteidiger gesagt, dass ich mit ihm in einer Zelle stecke, mit Einem der zum Tode verurteilt ist und dieser eigentlich alleine in der Zelle sitzen müsste. Sie haben ihn aber erst zwei Tage später verlegt. Ich bin bis heute davon überzeugt, dass mich dieser Mensch umbringen sollte.

Was ist dann passiert, als sie einen zum Tode verurteilten Häftling namens Rigo in die Zelle bekommen haben?
Ich bin wieder zu ihrem alten Szenar zurückgekehrt, weil ich Angst um mein Leben hatte und wegen der Sachen die mir dort passiert sind. Es war ein immenser Druck.
In den Akten steht dass ich ungefähr 100 Verhöre hatte, ich hatte aber 700! Ich hatte Verhöre an Samstagen wie auch an Sonntagen. Innerhalb von 2 Jahren Untersuchungshaft waren es 700 Verhöre, das ist ja wohl genug! Sie haben den Menschen immer in eine Position gebracht wo er psychisch zusammengebrochen ist. Eigentlich habe ich dann am Ende nur mehr das gemacht was sie wollten. Noch vor der eigentlichen Verhandlung sind die Ermittler nochmals gekommen, und haben mir ein Ultimatum gestellt. Entweder werden sie mich nach dem Paragraph 1 - Staatsverrat verurteilen, was bedeuten würde, dass ich in das schlimmste Gefängnis nach Ilava in den Untergrund komme, oder vier Jahre angenehmeres Gefängnis.

Sie haben die Version der Ermittler schließlich bestätigt, was ist dann passiert?
Sie haben ihr Wort gehalten, sie haben mir genau vier Jahre gegeben. Also habe ich noch vor dem Urteil gewusst, dass ich 4 Jahre kriege. Also war das alles von meiner Seite her inszeniert, und ich konnte nicht mehr heraus. Mein damaliger Verteidiger Dr. Detvaj, der heute der Vorsitzende der Anwaltskammer ist, sagte zu mir, dass mein größtes Problem darin liege, dass ich keine Ahnung habe, was die Anderen bei der Verhandlung sagen, weil sie uns in die Verhandlungen einzeln rein gebracht haben. Mein Verteidiger hat mir gesagt, dass falls ich meine Aussage verändere, dann wird mir schon überhaupt niemand mehr glauben, und sie werden mich dann auf jeden Fall verurteilen. Er behauptet heute was anderes, aber im Endeffekt war es damals wirklich so

Ihr Verteidiger Herr Dr. Detvaj hat ihnen so was gesagt?
Ja, in der Zelle. Mit dem Verteidiger konnte man sich damals immer erst nach den Verhören treffen. Wir haben uns dann Zettel geschrieben, da die Zelle abgehört wurde, so einen dünnen Zettel, den man dann verbrannt und vernichtet hatte. Unsere Gespräche waren keine wirklichen Gespräche, wir haben uns etwa über die Familien unterhalten, wobei wir uns geschrieben haben. Er hat mich darauf hingewiesen was passieren könnte und was nicht. Die Strategie der Verteidigung konnten wir überhaupt nicht zusammenstellen. Nur aus der Todesangst heraus und in der Hoffnung die Zukunft zu retten war diese eine Wahl. Heute kommt es mir so vor, als ob ich mich nicht solide verhalten habe, nicht korrekt, man kann das nicht aus diesem Blickwinkel sehen. Man müsste es erlebt haben!

Sie meinen der Druck in der Haft durch die Verhöre war nicht auszuhalten?
Eigentlich jeden Tag den jeden Augenblick dort. In der Zeit der drei Tage mit dem zum Tode verurteilten Rigo, da hatte ich Angst gehabt in der Nacht zu schlafen. Als ich dann einmal eingeschlafen bin, habe ich mich erschreckt: „Oh Gott, du schläft doch!“ Es war so erschöpfend und anstrengend, weil sie ihn am Freitag zu mir gegeben haben und erst am Montag ist der Dr. Detvaj, mein Verteidiger gekommen, der heute der Vorsitzende der Anwaltskammer ist. Man kann es heute beweisen, weil Rigo sein Klient war. Wie ist es möglich, dass ein zum Tode Verurteilter, der nicht aus der Zelle rauskommen darf, der spezielle Auflagen hatte, welcher der wichtigste Gefangene war, der eine doppelte Tür vor sich hatte, spezielle Gitter. Es ist Paradox, dass sie mir gerade in meine Zelle gegeben haben. Er hatte ein, aus einem zerrissenen Leintuch, zusammengeknotetes Seil dabei. Wahrscheinlich wollte er die Todesstrafe selber durchziehen, sich mithilfe des Seils selbst erhängen. Nach dem er von mir verlegt wurde hat er keine Todesstrafe, sondern 25 Jahre bekommen, weil es Lebenslänglich bei uns damals nicht gab. Es gab nur die Todesstrafe oder die Höchststrafe zu 25 Jahre. Ich weiß nicht was mit ihm weiter passiert ist, ob er raus gekommen ist, oder ob er noch lebt. Aber er hat sich dadurch die 25 Jahre Strafe ausgedient!

Wie war es als sie aus dem Gefängnis entlassen wurden?
Eigentlich ist das Problem so entstanden, dass ich als Erster entlassen wurde. Ich bin an diesen Punkt geraten, weil Nitra keine richtige Stadt sondern wie ein großes Dorf ist. Viele Menschen haben mich schief angeschaut, behauptet, dass ich mich verkauft habe und dadurch andere ins Unglück gestürzt habe. Die Wahrheit war ganz anders, aber beweisen konnte ich es nicht, weil ich über diese Sache nichts sagen durfte. Die Gerichte haben mir von den 4 Jahren sieben Monate erlassen, und haben mir 5 Jahre auf Bewährung gegeben.

Wie gestaltete sich dann ihr Leben in der Freiheit?
Sie sind normalerweise immer in mein Haus gegangen, sie haben sich die Tür mit Schlüssel geöffnet. Ich habe eine Einzimmer-Wohnung in Chrenova (Anm.: Plattenbausiedlung in Nitra) bekommen, und während ich in der Arbeit war, weil in dieser Zeit jeder arbeiten musste, sind sie bei mir daheim gesessen. Sie haben mich ständig so unter Druck gesetzt, dass ich keine andere Möglichkeit in der Stadt hatte, als aufzuzeigen, dass wir schuldig sind. Es hat denen nicht gereicht, und am Ende haben sie meiner Tochter den Nachnamen geändert, auf demselben Gericht, bei dem ich verurteilt wurde. Es waren große Spannungen. Man muss die ganze Angelegenheit in einem breiteren Kontext sehen, man kann es nicht in einem zehnminütigen Gespräch erklären.

Es bedeutet, dass sie noch in der Freiheit weiter auf der Version der Gerichte behaaren mussten, weil sie ständig bespitzelt wurden?
Ja, ich war nur die drei Jahre drei Monate und drei Tage eingesperrt, aber nachher ist es weiter gegangen – draußen - ich konnte mich auch in der Freiheit nirgendwo bewegen. Aber in meinem Inneren hab ich mich sehr schlecht gefühlt, besonders als ich die Eltern der Anderen getroffen habe. Es hat mir Leid getan, dass die anderen in den schweren Gefängnissen sitzen, unvorstellbar schlimm, unmenschlich. Ich weis es zwar nicht, wie die Haftstrafen anderswo sind, aber die Bedingungen sind sehr erschwert. Ich war dann schon draußen und es war psychisch sehr anstrengend. Ich hatte Gewissensbisse. Im meinem Inneren habe ich gelitten, das ist wahr.

Sie haben erwähnt dass sie in der Zeit ihrer Verhaftung im Jahre 1981 auch wegen Staatsverrat und Verbreitung verbotener Literatur vom Geheimdienst verhört wurden?
Ja, ich habe nämlich katholische Literatur verbreitet, die in diesen Staat wirklich verboten war. Sie hatten mich ständig im Auge und sie haben mich ständig erpresst. Falls es aber diese Audio Aufnahmen zum Fall Cervanova nicht gäbe - ich weiß nicht, ob sie falsch waren oder echt - würde ich nie etwas aussagen. Ich würde nie von alleine jemanden nur so liquidieren wollen. Sie haben mich eigentlich in diesen Fall durch andere Sachen hineingedrängt.
Falls ich nämlich nicht im Fall Cervanova mit denen zusammenarbeiten würde, hatten sie eine schlimmere Sache vorbereitet gehabt. Es war eigentlich alles ein Deal, dies habe ich auch jetzt am Obersten Gerichtshof gesagt. Mit einem Menschen, der damals ein Staatsanwalt (Anm.: Valasik) war - dass es alles ein Abkommen war. Es war sehr kompliziert. In so einem kurzen Umfang kann man es nicht sagen wie.