Mittwoch, 2. Januar 2008

Das Popper Prinzip, Artikel "Tyzden Nr.47"


Laut Sir Karl Popper glauben wir an die wissenschaftlichen Theorien nicht deswegen, weil man sie nicht widerlegen kann, sondern gerade deswegen, weil man sie zumindest im Prinzip widerlegen könnte. Das, was man zumindest im Prinzip nicht widerlegen kann, ist laut Popper keine Theorie sondern ein Dogma.


Originallink: http://www.tyzden.sk/sk/spolocnost/popperov_princip.php

Poppers Prinzip ist nicht nur in der Wissenschaft gültig. Überall dort, wo uns die konkrete Wahrheit interessiert, sollten wir bereit sein, unsere Überzeugungen zu verlassen, falls diese ersichtlich anfangen den Fakten zu widersprechen.
Deshalb, obwohl wir aufgrund von vielen materiellen Beweisen von der Unschuld der sieben Männern aus Nitra in der Causa Cervanova überzeugt sein könnten, sollten wir gerade die Fakten nicht ignorieren, die das Gegenteil bestätigen. Gerade diese Fakten haben nämlich das Potenzial, unsere Überzeugungen zu widerlegen und gerade deshalb sollten wir diese gründlich untersuchen.
Zu Ungunsten der sieben Männer aus Nitra sprechen vor allem die Zeugenaussagen und Geständnisse. Es ist zwar wahr, dass der
Großteil der Aussagen von den betroffenen Personen widerrufen wurde, diese Tatsache muss für uns nicht ausschlaggebend sein. Falls nämlich jemand etwas gesteht und bezeugt und später behauptet, dass er dazu mittels intensivem psychischen und manchmal physischen Druck gezwungen wurde, dann können aber müssen wir es nicht glauben.

In der Frage der Nötigung und Druckausübung haben wir im Grunde genommen drei folgende Möglichkeiten:
- Die Zeugenaussagen und Geständnisse wurden ohne Nötigung, Druck oder Gewalt getätigt und die Behauptungen darüber sind Zweckslügen.
- Die Zeugenaussagen und Geständnisse wurden durch einen bestimmten Druck getätigt, entsprechen aber der Wahrheit.
- Die Zeugenaussagen und Geständnisse wurden durch Gewalt getätigt und entsprechen somit nicht der Wahrheit.


Falls eine dieser Hypothesen für uns als Dogma gilt, müssen wir nichts mehr dazu sagen. Falls es sich um keine Dogmen handelt, müsste zumindest eine theoretische Möglichkeit der Widerlegung existieren. Wir schauen uns deshalb jetzt die Fakten an, die das Potenzial haben, diese Hypothesen zu widerlegen.

  • Die erste Hypothese

Die erste Möglichkeit könnten die Zeugen widerlegen, die gegen die Angeklagten ausgesagt haben und die ihre Zeugenaussagen in den Hauptpunkten nie widerrufen haben. Falls diese ebenfalls bestätigen würden, dass auf sie Druck ausgeübt wurde, hätte diese Tatsache die erste Hypothese wesentlich erschüttert. Solche Menschen haben nämlich nicht den geringsten Grund zu behaupten, dass sie zu den Zeugenaussagen gedrängt wurden. Existieren aber solche Zeugen?
Ludmila Cervanova wurde am Abend den 9.7.1976 auf dem Weg von der Diskothek in Mlynska Dolina entführt. Die Anwesenheit der sieben Männer aus Nitra in dieser Diskothek haben bei dem Ermittlungsverfahren (Vorbereitungsverfahren) im Jahr 1981 hauptsächlich die Zeugin Viera Zimakova- Vozarova, der Zeuge Vladimir Varga und die Zeugen Jozef Skrobanek und Igor Urbanek bestätigt. Beim Gerichtsverfahren im Jahr 1982 hat Viera Zimakova-Vozarova ihre Zeugenaussage im vollen Umfang widerrufen, Vladimir Varga ist in die Schweiz emigriert, von wo er sofort einen Brief an das Gericht geschrieben hatte, in dem er alle seine Aussagen als erpresste Lügen bezeichnet hatte. Die zwei übrigen Zeugen haben aber vor dem Gericht 1982 weiter behauptet, alle Angeklagten in der Diskothek gesehen zu haben.
Beim Gerichtsverfahren im Jahr 2003 hat der Zeuge Jozef Skrobanek aber bereits behauptet, dass er in der Diskothek nur Andrasik, Dubravicky, Bedac und Kocur gesehen hatte. Über die drei übrigen Männer aus Nitra hat er ausgesagt, dass ihm die Ermittler vor dem Jahr 1982 einfach Photos untergeschoben hatten: „So sind in diese Gruppe auch Lachman, den ich nie zuvor im Leben gesehen hatte, Cerman, den ich nicht kannte und Brazda, den ich auch nie im Leben gesehen habe, hineingekommen. Bis ich mir die Namen nicht aneignete – die ins Protokoll gelangen sollten, haben sie mir diese Namen ständig untergeschoben. Bis ich diese Namen nicht hineinbekommen habe, haben sie mir das Vernehmungsprotokoll nicht unterschreiben lassen.“
Die Hypothese über ein sauberes Vorgehen der Ermittler und der Staatsanwaltschaft können wir wohl aufgeben.


  • Die zweite Hypothese

Da wäre also die zweite Hypothese, nämlich dass die Ermittler die Zeugen und Angeklagten nicht mit Wattehandschuhen angegriffen haben, was aber nichts ausmachen würde, wenn die Angeklagten tatsächlich die wirklichen Täter wären. In diesem Fall ist wesentlich, dass der Zeuge Skrobanek geholfen hat, die Täter zu überführen und nicht, dass ihn die Ermittler bedroht haben, ihn solange Arschloch geschimpft haben, bis er, so wie es erwartet wurde, antwortete, oder dass er bei dem Verhör eine Ohrfeige bekommen hat (alles laut seiner Aussage im Jahr 2003). Für viele Anhänger der zweiten Hypothese sind es zwar bedauernswerte aber keine ausschlaggebende Umstände/Details.
Was könnte diese Ansicht widerlegen? Vielleicht ein Zeuge, der überzeugend beweisen würde, dass der Zeuge Skovranek im Jahre 1982 gelogen hatte (oder zumindest sich geirrt hatte) und dass nicht nur im Falle von Lachman, Cerman, Brazda, sondern auch im Falle der restlichen Verurteilten. Existieren aber überhaupt solche Zeugen?
Solche Zeugen gibt es ungefähr an die hundert und dazu zählt auch der Zeuge Skovranek selbst. Dieser hat nämlich nicht nur in den Jahren 1982 oder 2003 zum Fall Cervanova ausgesagt, sondern auch nur ein paar Tage nach der Tat im Jahre 1976. Seine Zeugenaussage vom 20.7.1976 hat knapp zehn Zeilen und erwähnt keinen von den Männern aus Nitra. Zu Ludmila Cervanova hat er bei der Vernehmung explizit angegeben, dass er sie in der Diskothek nicht gesehen hatte. Das heißt, dass der Zeuge Skovranek bei den massiven polizeilichen Ermittlungen im Jahre 1976 keinen von den Menschen erwähnte, die er dann souverän im Jahre 1981 überführte. Und nicht nur Herr Skovranek, sondern keiner von den weiteren hundert Anwesenden der Diskothek hatte im Jahre 1976 die sieben Männer aus Nitra als anwesend identifiziert. Keiner, nicht einmal ein einziger Mensch.
Was bezeugt dann die Aussage von Herrn Skovranek vom 15.6.1981, in der er auf sechs dicht beschriebenen Seiten eine Menge von Einzelheiten erwähnt, inklusive, wer und wann Frau Cervanova zum Tanz gebeten hat, wen sie abgelehnt hatte und wie in ihrer Anwesenheit sich Herr Kocur mit Herrn Urbanek geprügelt hatten und so weiter? Was bezeugt die Zeugenaussage von Herrn Urbanek (den sogar im Jahre 1976 auch niemand der hundert Zeugen in der Diskothek gesehen hatte), der bis heute behauptet, dass Frau Cervanova direkt aus seinen Händen entführt wurde, wobei alle direkten Zeugen der Entführung im Jahre 1976 ausgesagt haben, dass die Entführte sicher alleine weggegangen ist? Nun sie zeigen, dass die Zeugenaussagen der Hauptzeugen nicht einmal eine kleine Spur wahr sind. Deswegen bleibt uns nichts anderes übrig, als sich auch von der zweiten Hypothese zu verabschieden.

  • Die dritte Hypothese

Die obrigen Abschnitte bringen uns zu der dritten Hypothese, nämlich, dass die verurteilten Männer aus Nitra tatsächlich unschuldig sind. Was könnte diese Hypothese entkräften? Zum Beispiel, falls jemand beweisen könnte, dass man solche falschen und schrecklichen Beschuldigungen oder sogar Geständnisse einem Menschen nicht aufzwingen kann.
Stefan Michalik, der Senatsvorsitzende des Obersten Gerichtshofes der Slowakischen Republik hat in das Urteil im Jahr 2006 folgendes geschrieben: „Falls der Druck auf die Angeklagten so groß und so gesetzeswidrig wäre, wie die Verteidigung behauptet, dann hätten sich wahrscheinlich alle Angeklagten damals zu den Straftaten bekannt. Dies ist aber nicht passiert.“
Nun, die Logik ist keine Stärke von Richter Michalik. Druck kann verschiedene Formen der Ausübung haben und auch unterschiedliche Intensität. Für den Zeugen Skovranek reichte wahrscheinlich nur eine polizeilich durchgeführte Rekonstruktion der Diskothek, die er folgend in seiner Zeugenaussage im Jahre 2003 beschrieben hat: „Als ob sie uns in bestimmte Aufstellungen manipuliert hätten, die sie teilweise zufrieden stellten. Von mir habe ich dabei erfahren, dass ich neben der Geschädigten Cervanova auf dem Fenster gesessen bin. Es ist wirklich wahr, dass ich auf dem Fenster gesessen bin, ich habe Cervanova aber nie im Leben gesehen. Bei der Rekonstruktion habe ich erfahren, dass ich ein Zeuge sein sollte und zwei Stunden neben Cervanova gesessen bin.“
Welches Signal hat diese Rekonstruktion für Herrn Skovranek bedeutet? Falls er darauf weiter behaaren würde, dass er Cervanova nie im Leben gesehen hatte, könnte er zum Verdächtigen Nummer eins werden. Für einen reicht schon eine relativ sanfte Drohung (mit der sanften Aussicht auf die Todesstrafe). Woanders ist der Druck viel brutaler, wie zum Beispiel im Falle von Viera Zimakova- Vozarova, der aber trotzdem nicht vollkommen ausreichend wirksam war.
Die Frage bleibt aber weiter offen, ob es möglich ist, einen Menschen zu einem falschen Geständnis einer schweren Straftat oder sogar zu gegenseitigen Beschuldigungen bei den Konfrontationsverhören zu zwingen. Wahrscheinlich ist es möglich, falls man geeignete Methoden benutzt, wie zum Beispiel die Druckausübung durch Mithäftlinge in der Untersuchungshaft. In diesem Zusammenhang erwähnen wir zumindest die Herren Janzetic und Fagan. Der Psychologe Gejza Dobrotka, der im Jahre 1981 für vier der Verurteilten aus Nitra Todesstrafen auf Grund schlechter sozialer Prognosen empfahl (später lakonisch zugegeben hatte, dass er sich wohl irrte) hat beim Gericht im Jahre 1993 folgendes zu Herrn Janzetic erklärt: „Diesen Zeugen habe ich nicht in Erwägung gezogen und davon, dass er eingesetzt wurde, habe ich von den Polizisten erfahren, denen ich es auch vorgeworfen habe. Ich wusste davon, dass außer Herrn Janzetic noch einer dabei war, der ein Sadist war. Ich glaube es handelte sich um den Zeugen Fagan.“
Also ein Sadist. Ich glaube, die dritte Hypothese ist uns nicht gelungen zu widerlegen. Trotz der Tatsache dass uns der Genius Michalik geholfen hat.

EXKURS: Für kluge „Köpfchen“

  • Wie ist es möglich, dass slowakische Gerichte die Männer aus Nitra wiederholt verurteilt haben? Warum haben sie die Tatsache nicht in Erwägung gezogen, dass niemand von den Angeklagten und Hauptzeugen in der Diskothek gesehen wurde?

(richtige Antwort: Bis zum Jahr 2004 war die Ermittlungsakte vom Jahr 1976 „verloren“ gewesen und die Gerichte konnten sich mit diesen nicht befassen. Mit diesem Teil der Ermittlungsakte, der schließlich im Polizeiarchiv im Levoca gefunden wurde, konnte sich erst der Senat des Obersten Gerichtshofes der Slowakischen Republik im Jahre 2006 befassen. Und dieser Senat hat sich entschieden, dass er sich einfach mit dem Teil nicht befassen wird- einfach nicht und Basta.)

  • Wie ist es möglich dass die Gerichte im Jahre 2004 (Landesgerichtshof) und 2006 (Oberstes Gerichtshof) die Zeugenaussage von Herrn Skovranek vom Jahr 1982 berücksichtigten trotz der Informationen von manipulierten Ermittlungen, die dieser Mann den Gerichten erteilte?

(richtige Antwort: Die Gerichte sind nach der Überprüfung von Herrn Skovraneks Aussage zum Ablauf der Verhöre im Vorbereitungsverfahren von dem Jahr 1982 zur Meinung gekommen, dass: „die Aussagen im Vorbereitungsverfahren mit gesetzlichen Methoden getätigt wurden.“ Die Zeugenaussage von Herrn Skovranek haben sie als zweckmäßig, respektiv unter den Druck von Medien und im Streben den Angeklagten zu helfen gewertet. Also so. Zumindest haben wir jetzt eine Vorstellung davon, was das slowakische Oberste Gericht für ein rechtsmäßiges Verhör hält.)

.Martin Mojzis