Am 15. Juni 1981 um 6 Uhr in der Früh wurde Frantisek Cerman verhaftet und später im Fall Cervanova angeklagt. Er hat die Tat nie gestanden.
Am 22. 9. 1982 wurde er vom Obersten Gerichtshof zur 12 Jahren Haft verurteilt. Am 30. Dezember 1989 wurde er auf 5 Jahre Bewährung freigelassen. Seit dem er sich in der Freiheit befand hat er für ein gerechtes Verfahren gekämpft.
Am 4.12.2006 wurde er vom Obersten Gerichtshof der Slowakei zur 11 Jahren Haft wiederverurteilt. Seit dem ist es unklar ob er die Haft antreten muss oder nicht.
Was haben sie sich von den Gerichten in den letzten 17 Jahren, also seit dem sie in der Freiheit leben erwartet?
Ich habe erwartet, dass die Gerichte endlich gerecht entscheiden werden. Man kann es nicht akzeptieren, ich kann es nicht mehr akzeptieren, meine Verwandten können es nicht akzeptieren. Alle wünschen sich, dass dieses Gefängnis endlich endet. Es dauert eigentlich in unserer Familie und in unserer Psyche seit mehr als zwanzig Jahren. Es ist eine Absurdität, die keinen Vergleich hat. Diese Absurdität hat sich vom ehemaligen Regime ausgehend in unsere Gesellschaft eingeschlichen. Das wird einigen unschuldigen Menschen, unter denen ich auch bin, wehtun und hat wehgetan. Es ist nicht mehr möglich es zu ertragen, man hat doch nur ein Leben. Diese Phase, in der ich beschuldigt, angeklagt, verurteilt, dann auf Bewährung raus gelassen und dann wieder beschuldigt und angeklagt wurde dauert mein ganzes Leben.
Die Urteile wurden doch im Jahr 1990 aufgehoben, wo auf alle Fehler des vorigen Urteiles vom Jahr 1983 hingewiesen wurde. Daraufhin wurden wir wieder angeklagt. Wir haben seit dem Jahr 1990 verlangt, dass die Gerichte agieren und trotzdem haben sie nichts gemacht. Wir haben uns in Straßburg beschwert. Erst dann sind die Gerichte nach einer zwölfjährigen Wartezeit tätig geworden. Wieder haben dieselben Menschen beziehungsweise deren Freunde wie in der Vergangenheit das gleiche gemacht, nämlich wieder unschuldige Menschen verurteilt und ein unsinniges völlig absurdes Urteil aus den Jahren 1982 und 1983 bestätigt. Womit sie uns eigentlich deutlich gemacht haben, dass es hier in der Slowakei eine alte düstere Kraft gibt. Das kann man nicht mehr akzeptieren!
Wie ist die ganze Geschichte aus Ihrer Sicht passiert? Wie sind sie in die Causa Cervanova überhaupt hineingeraten?
Im Sommer 1976 hatten wir (meine damalige Verlobte und spätere Ehefrau und ich) Besuch aus Frankreich. Zwei Studentinnen, die bei uns zehn Tage zu Besuch waren. Zwei Jahre später, also 1978 begannen gewisse Ermittler aus Prag bei mir zu recherchieren. Sie haben gemeint dass ich die zwei Ausländerinnen zu Besuch hatte und stellten Fragen zu ihrem Aufenthalt. Dies geschah in einer Phase, wo es um den konkreten Tag ging, an dem wir bei einer Feier in einem Club waren. Dann haben sie mir gesagt, dass nämlich eine Studentin aus diesem Club entführt wurde und ihre Leiche in der Nähe von Bratislava gefunden wurde. Dies geschah zwei Jahre nach der kritischen Zeit. Die Verhöre sind in die Richtung gegangen, dass ich die Personen nennen musste, die an dieser Feier teilgenommen hatten. Die Ermittler wollten, dass ich konkret bezeuge, dass eine bestimmte Person, nämlich Roman Brazda, dort anwesend war. Das waren Verhöre, die sehr intensiv abgelaufen sind. Ich wurde von in der Früh bis spät abends verhört. Ich musste etwas über meine Bekannte sagen und zwar so, dass sie mich in dieser Phase zu Aussagen gedrängt haben, die nicht der Wahrheit entsprachen. Ich habe es trotzdem noch bis zu diesem Zeitpunkt für eine normale Ermittlung gehalten. Daraufhin habe ich bei dem zuständigen Minister eine Beschwerde bezüglich den Ermittlern und derer Methoden eingereicht, was zur Folge hatte, dass sie mich noch für drei Tage ins Gefängnis eingesperrt haben. Dort war ich mit einem Mann in einer Zelle, der mir ständig Sachen von der Ermordeten erzählt hatte. Nach diesen drei Tagen Haft haben sie mich wieder verhört. Ich habe mich dabei beschwert, was für einen Mitinsassen haben sie mir in die Zelle rein gegeben, was das heißen soll, und Einer der Ermittler, der mich verhört hatte, hat mir nur so gezeigt (Psst).
Was sollte das heißen?
Sag - sagt nichts. Ich habe ihn gefragt, soll ich jetzt die Wahrheit sagen oder Das, was mir durch die Verhöre und Erzählungen eingetrichtert wurde? Er sagte : „Wahrheit“ - also habe ich die Wahrheit gesagt, soweit ich mich noch an diese Zeit, als die Französinnen da waren, erinnert habe, nämlich, dass wir auf einer Feier waren, einmal und dann noch einmal in diesem konkreten Club.
Was ist dann nach dem Jahr 1979 passiert?
Nachdem haben mich die Ermittler für zwei Jahre in Ruhe gelassen. Eine Woche vor meiner Verhaftung im Jahre 1981 sind meine schwangere Frau, meine Tochter und ich in den Urlaub nach Jugoslawien gefahren, mit dem Vorsatz - heute kann ich’s schon offen sagen- zu emigrieren. Wir haben Sachen in Deutschland und Kalifornien vorbereitet gehabt. Auf der Grenze haben sie uns eine große Durchsuchung gemacht - auch bei meiner schwangeren Frau - und haben uns unter dem Vorwand zurückgeschickt, dass wir von irgendwelchen Nachbarn angezeigt wurden. Von diesem Moment an haben uns drei Autos noch fünf oder sechs Tage bespitzelt. Schließlich haben sie, eine Woche nach unserem Versuch über die Grenze zu gelangen, also Montag früh um sechs an unserer Tür geklopft. Ich habe mich von meiner schwangeren Frau und meiner Tochter mit dem Gedanken verabschiedet, dass sie mich bezüglich der geplanten Emigration verhören werden.
Also hat Sie die Polizei am 15. Juni 1981 um 6 Uhr in der Früh von Zuhause abgeführt?
Ja, die Polizei hat mich in ein Gefängnis außerhalb von Bratislava gebracht und dort haben sie wieder angefangen, mich bezüglich der Vorkommnisse vor 5 Jahren zu verhören. Dort habe ich wieder gesagt, dass ich mit den Französinnen zusammen war und dass ich darauf bestehe, dass diese Zeuginnen auch verhört werden, weil sie nur einmal in der Tschechoslowakei waren. Sie könnten vielleicht etwas mehr sagen, einen Eindruck von dieser Feier, falls wir am kritischen Abend überhaupt an einer Feier waren, weil das Menschengedächtnis ist so…
Was ist weiter passiert?
Sie haben es zurückgewiesen und haben mir ausdrücklich gesagt: „…Vorsicht jetzt läuft es schon knallhart - ins Gefängnis sind schon ganz andere Menschen gekommen und keiner mehr kommt da raus...“. Wie ich dann später erfahren hab, haben sie am ersten Tag wo sie mich verhaftet haben, meinem Vater gesagt, dass sie mich hängen werden. Daraufhin hat er einen Nervenzusammenbruch erlitten und verbrachte einen Monat in der Psychiatrie. Das habe ich aber erst später erfahren, also - wenn ich zurückgehe - sie haben mich im Juni 1981 eingesperrt und seit dem Tag bis zum Jahr 1989 war ich eingesperrt, am Anfang war ich zwei Jahre in der Untersuchungshaft. Ich kann sagen, es war eine Folter. Psychischer Folter. Das war kurz erzählt, wie ich dazu gekommen bin.
Wie wurden also die Verhöre gestaltet?
Die Verhöre vor meiner richtigen Verhaftung im Jahr 1981 gestalteten sich so, dass sie mir unterstellt haben, dass ich absichtlich gewisse Sachen verheimliche und deswegen sie mich zwischen 1978 und 1979 verhören. Damals war ich noch in Freiheit und es war immer so, dass sie mich verdächtigten, dass ich ihnen etwas verheimliche, etwas, was denen helfen könnte. Das ich etwas weiß, was ich auch selber nicht weiß, dass ganze Familien zittern werden, dass sie mich einsperren und spezielle Zellen schon vorbereiten und dass wir uns vor Gericht treffen.
Als ich 1981 ins Gefängnis gekommen bin, habe ich gleich einen Zettel gekriegt, wo sie mich wieder beschuldigt haben, dass ich etwas verheimliche. Am zweiten oder dritten Tag in der Haft habe ich wieder einen Zettel bekommen, wo ich des Mordes beschuldigt wurde - als Mittäter zusammen mit zwei anderen Personen. Von diesen zwei Personen habe ich einen gekannt - es war mein Freund und der zweite war für mich eine völlig fremde Person. Den Zweiten habe ich nur vom Sehen her gekannt, aber nie zuvor in meinem Leben mit ihm gesprochen. Ich wusste nur dass diese Jungs aus Nitra kommen. Nach zwei weiteren Monaten in Haft habe ich dann die Anklage bekommen, dass ich wegen Mord und Vergewaltigung als Mittäter mit weiteren Personen angeklagt bin. Es sind noch drei Personen dazu gekommen. Wir waren dann insgesamt schon sechs Männer. Nach weiteren drei Monaten habe ich eine Anklage bekommen, dass ich auch wegen Entführung, Mordes, Vergewaltigung und Freiheitsberaubung angeklagt bin und später ist dazu noch Hausfriedensbruch dazugekommen.
Wie hat sich der psychische und physische Druck abgespielt?
Der erste Druck ist der psychische. Ich habe ja nicht gewusst ob sie mich jetzt wegen der geplanten Emigration einsperren. Sie haben auf mich Druck gemacht, damit ich denen alles erzähle und das ich ein Zeuge irgendeines Mordes bin. Das war so ein Spiel - sie haben ständig gesagt, „…sie waren bei dem Mord…sie waren es nicht, es waren die anderen…“ das war psychischer Druck. Ich habe immer gefragt welche anderen, wenn ich die nicht kenne. Am Anfang war es der psychische Druck, die ersten drei Tage, als ich noch nur beschuldigt war, also noch vor der Anklage. Sobald sie mich aber angeklagt haben, ist ein zweites psychisches Trauma dazugekommen. Nämlich, dass man sie in eine Zelle einsperrt, aber in keine normale Zelle, sondern in eine spezielle Zelle für Mörder. Sie geben sie zwischen die Mörder, die tatsächlich etwas gemacht haben. Zumindest vielleicht, weil ich heute der Justiz Nichts mehr glaube. Das heißt sie sperren sie hinter eine erste normale Gefängnistür, hinter der aber spezielle Gittern folgen und weiter noch speziellere Sicherheitstüren in die speziellen Abteilungen führen. Das belastet einen Menschen, weil man sich fragt: wie gibt’s so was? das gibt’s doch gar nicht, das ist doch nicht möglich! Sie werden verrückt von dem eigentlichen Aufenthalt dort, es ist wahnsinnig, es bricht auf sie herein und sie müssen es akzeptieren, dass das System langsam aus ihnen einen Mörder macht. Und sie sind sauber und unschuldig - das ist etwas Schreckliches!
Wie ginge es dann weiter, nach dem sie schon angeklagt wurden?
Sie bringen ihnen dann eine Aussage, von Irgendjemand, konkret war das ein Mensch (Anm. Milos Kocur, siehe Interview Milos Kocur), den ich nicht einmal gekannt habe. Dieser Mensch ist innerhalb von drei Tagen Verhöre nach dieser Anklage zusammengebrochnen und hat Sachen ausgesagt, von denen er bis heute selber nicht weißt, warum er sie so ausgesagt hat. Das habe ich aber erst später erfahren. Also wenn sie ihnen diese Aussagen zeigen, dass dieser Mensch über sie spricht und sie ihn nicht einmal kennen und der Ermittler auf sie Druck macht, dass sie lügen, dann haben sie keine Chance. Ein unschuldiger Mensch kann sich einfach nicht währen, er muss nur warten, aber wenn sie zum ersten Mal mit solcher Umgebung in den Kontakt kommen, wissen sie nicht, was geschehen wird, das heißt der psychische Druck ist sehr stark.
Und die zweite Sache: Ich habe immer von meiner schwangeren Frau erzählt bekommen, die damals mit meiner zweiten Tochter im siebten Monat schwanger war. Sie haben mich immer im Unklaren gelassen, ob sie vielleicht eine Fehlgeburt erlitten hätte oder ihr etwas anderes passiert wäre. Informationen über meine Frau haben mir aber nicht die Ermittler gegeben, sondern die anderen Gefangenen, die mit mir in der Zelle waren.
Nach zwei Monaten Haft haben sie mich in eine andere Zelle verlegt. Es war nicht mehr die Spezialabteilung, man könnte sagen mildere Abteilung, aber mit fünf kräftigen Menschen, Zigeunerherkunft, man konnte es sehen, dass es Berufsverbrecher waren.
Was meinen sie mit Berufsverbrechern?
Wenn ich es nur beschreiben könnte, wie diese Männer ausgeschaut haben. Wenn sie nämlich so einen Menschen zum ersten Mal im Leben treffen ist es sehr schwer. Ich habe in einer relativ zivilisierten Welt gelebt - obwohl unter solchen schizophrenen Atmosphäre im kommunistischen Regime. Verlegt haben sie mich also nach zwei Monaten, genau nach dem Paragraph - zwei Monate Gefangenschaft und dann besteht die Möglichkeit der Entlassung in die Freiheit. Ich habe gehofft. Sie haben die Tür der Zelle geöffnet, haben mich aber nicht in die Freiheit entlassen. Sie haben mir nur befohlen die Sachen zu packen und haben mich in eine andere Zelle eingesperrt wo diese fünf Menschen waren. Diese Männer haben gleich damit angefangen, mich zu verhören. Hautsächlich zwei von denen, die in der Zelle waren. Sie haben mich verhört und bearbeitet. Sie haben ständig von der gesamten Tat erzählt und zwar wirklich ständig und ohne Pause. Die ganze Zeit haben sie, sogar auch miteinander, über die angebliche Tat gesprochen. Das heißt, dass dann ich wie ein Plastilin zum tatsächlichen Verhör erschienen bin. Als ich gesagt habe, dass ich ihre Gespräche und ihre Informationen, die sie mir übermittelt haben nicht mehr hören möchte, haben sie sich auf meine angebliche Aussage berufen. Man ist dabei vollkommen wehrlos, weil man alleine ist. Zum Beispiel kriegt man ein Minimum zum Essen. Die anderen in der Zelle hatten irgendwelche Protektion und hatten genug zum essen gehabt. Verstehen sie mich? Es ist so eine Situation wo ein Mensch psychisch runterkommt und selbstverständlich physisch und überhaupt.
Als ich mich dann getraut habe und gesagt habe, dass ich darüber nicht mehr reden werde, haben sie mich einfach wie einen Hund zusammengeschlagen. Der Mitinsasse, der mich verprügelt hatte, hat nachher auf die Tür geklopft und wurde verlegt. Wahrscheinlich damit es zu keinem Konflikt kommen kann - oder etwas ähnliches von meiner Seite. Als ich dann nach unten zum Verhör vorgeführt wurde, war ich zwar blau und die Polizisten haben gefragt, was mir passiert ist, ich habe nur gesagt, dass ich mich irgendwo angehaut habe. Ich hatte Angst gehabt, weil ich nicht wusste ob es vielleicht weitergeht falls ich mich beschwere. Das waren solche Momente, wo sich einer sagt, dass das System wirklich nicht die Wahrheit wissen will. Die Wahrheit interessiert niemand. Interesse ist nur, dass irgendwer beschuldigt und angeklagt wird. Aber von da kommst du nicht mehr raus und hier werden noch mehrere dazukommen. Und so ist es auch passiert.
Was meinen Sie mit dem dass andere dazukommen werden?
Sie haben anschließend meinen Schwager eingesperrt, welchen sie auch dazu genötigt haben, gegen mich auszusagen, was völlig absurd ist, weil ich ihn nicht einmal in der Zeit der angeblichen Tat gekannt habe. Aber wahrscheinlich weil er von meiner Familie war, haben sie ihn genommen, damit der psychische Druck auch auf die ganze Familie größer ist. Damit sie uns völlig zerstören. Sobald sie ihn eingesperrt haben, gingen Gerüchte herum, dass wir eine Familie von Mördern sind - auch unsere Ehefrauen erfuhren es oft- und dass wir in Leopoldov enden werden. Das war eines der schwersten Gefängnisse in der ehemaligen Tschechoslowakei. Sie haben es uns ständig deutlich gemacht und gesagt dass sie unsere Familien zerschlagen werden. Ungefähr solche Informationen haben wir alle damals gehabt. Was heißt, der psychische Druck auf - sagen wir so - intelligente Menschen, ist viel mehr inakzeptabel, als die physische Gewalt, die abgelaufen ist. Wenn sie Einen den Kopf gegen den Tisch schlagen, oder man einen Schlag ins Gesicht kriegt, sind es Kleinigkeiten- würde ich sagen. Der psychische Druck ist der stärkste. Die Polizei, Geheimdienst und der Staatsanwalt haben es sehr gut gewusst. Es war ein Szenarium, das durch ein Team von Leuten erstellt wurde, denen es nur darum ging, diesen Fall exemplarisch zu machen und aus uns Mörder zu kreieren. Das schlimmste ist dass es diese Menschen, die das konstruiert haben, wissen mussten. Anders kann ich es mir nicht vorstellen, die Auswirkungen dauern doch noch bis heute - so ist es.
In der Untersuchungshaft waren sie 2 Jahre, sie haben nach meiner Information auch im Todestrakt einige Zeit verbracht?
Noch vor der Gerichtsverhandlung wurde mir gesagt: „Packen sie sich ihre Sachen wir setzen sie in eine Todeszelle“ - und ich weiß nicht einmal warum. Die Zelle war speziell gebaut, man kann nichts bewegen, alles ist fixiert. Dort wartet dann der zum Tode verurteilte irgendwo in Untergrund des Gefängnisses auf die Vollziehung der Todesstrafe. Und sie setzten mich hinein. Und ich wusste nicht. Ich wusste es nicht, was sich im Kopf eines normalen Menschen abspielen kann. Falls er nämlich schon ganz daneben ist, ist es etwas anderes. Ich weiß es nicht mehr wie ich diesen Tag durchlebt habe. Wie ich später erfahren hatte, haben sie dasselbe auch mit anderen getan. Sie haben uns damit gezeigt, wie wir enden werden, entweder werden wir mit denen zusammenarbeiten und andere beschuldigen, oder es kann auch so enden. Sie haben es jedem vorgeschlagen, sie haben es mir angeboten, meinen Schwager...und einer hat es angenommen, dieser hat die niedrigste Strafe bekommen. (Anm.: Juraj Lachman, siehe Interview) Ob es aber richtig ist oder ob es Wert ist, die niedrigste Strafe anzunehmen und dann bis zum Ende seines Lebens Gewissensbisse zu haben, das weiß ich nicht. Er hat Menschen, die er nicht einmal gekannt hat, vor Gericht beschuldigt. Es stellt sich die Frage, ob das moralisch ist. Es ist eine Sache der Persönlichkeit, wie wer diesen Druck aushält. Vielleicht falls sie auf mich härteren Druck gemacht hätten und auch gesagt hätten, dass meine Frau nicht mehr leben würde, dass sie meine Tochter ermordet hätten, so wie sie es dem Roman Brazda erzählt haben, vielleicht würde ich auch so zusammenbrechen. Vielleicht wäre ich auch verrückt geworden, wie er.
Das haben sie den Brazda tatsächlich erzählt?
So haben sie es ihm gesagt. Das ist kein Quatsch, das sind Fakten, die ich gelesen habe, die in den Akten stehen.
Was ist dann weiter nach der Untersuchungshaft passiert?
Am obersten Gerichtshof haben wir erwartet, dass es dort eigentlich zum Umbruch kommen müsste, weil das Szenarium tatsächlich absurd war. Das wussten die Anwälte, alle Familien, wir Verhafteten, dass es zum Umbruch kommen muss. Und am Obersten Gerichtshof im Jahre 1983 so denke ich mir bis heute, waren wir alle unter Drogen gesetzt worden oder irgendwie darauf vorbereitet, weil mit mir auf einmal komische Dinge passiert sind. In meiner Psyche sind Prozesse abgelaufen die unter LSD oder ähnlichen Mitteln passieren. Wie wenn ein Mensch LSD einnimmt, wie ich es später im Gefängnis gelesen habe. Ich hatte anderes als die Realität wahrgenommen. Bevor sie mich vom Zentralgefängnis in Bratislava in das Gefängnis Leopoldov brachten - das dauerte ungefähr eine Woche, da war ich völlig daneben und habe angefangen gegenüber den Menschen, die mit mir in der Zelle waren, aggressiv zu sein. Selbstverständlich haben sie die Wachen verständigt und die Gefängniswachen haben mich dann verprügelt.
Wie verprügelt?
Sie haben mich zusammengeschlagen, sehr zusammengeschlagen, angeblich hat, später haben mir es andere aus dem Gefängnis gesagt, dass das ganze Gefängnis gebebt und ich hatte wie ein Tier geschrieen. Kurz gesagt, es war so - das haben mir aber andere gesagt, da ich mich nicht genau erinnern konnte - sie haben mich an irgendein Bett angebunden und von dort in die Krankenstation verlegt.
Wie ist es genau abgelaufen?
Ich hab es lebendig im Kopf, weil ich später angeklagt wurde und in dieser Anklage war es geschrieben, was ich angeblich gemacht habe. Die Tür ist aufgegangen. Ich habe das Gefühl gehabt, dass ein sehr starkes Licht eingedrungen ist, weil diese Zelle so dunkel war. Die Wachmänner haben mich aufgefordert, raus zu kommen. Als ich herauskam, haben sie mich mit Schlagstöcken geschlagen. Als ich auf dem Boden gefallen bin, kann ich mich nichts mehr erinnern. Vielleicht habe ich meinen Kopf an einer Schranke angehaut. Ich habe nur zehn Füße gesehen, die mich getreten haben. Dann habe ich wieder mein Bewusstsein verloren. Dann - wie ich aus den Akten erfahren habe - haben sie mich angeklagt, dass ich sie angegriffen habe. Angeblich habe ich eine Tasse Kaffee auf einen geschmissen, einen soll ich getreten haben und einen eine Rippe gebrochen haben. Dann war in der Anklage noch geschrieben, dass ich den Chef des Dienstes seine Schnüre - der hat solche goldene Schnüre auf seiner Uniform gehabt - die Schnüre zerrissen habe. Sie haben es als Angriff auf öffentliche Personen gewertet. Anhand von so einem Paragraphen gaben sie mir noch weitere fünf Jahre Haft gegeben. Es bedeutet, nicht Sie haben mich geschlagen, sonder ich sie! Und als sie mich fünf Tage später nach Leopoldov verlegt haben, habe sie zu mir gesagt: „Du darfst dich nicht zwischen den anderen Häftlingen aufhalten, weil du einen schwarzen Rücken hast. Das würde die anderen demoralisieren. Du musst unten in deiner Zelle bleiben, bis es dein Rücken wieder geheilt ist.“ Weil ich von Kopf bis Fuß schwarz war von den Schlagstöcken. Es war anfangs rot, nach vier Tagen schwarz und dann, als sie mich wieder zwischen die Häftlinge gelassen haben, war es nur so ein Streifen. Da waren mein Kopf und alles geheilt. Ich weiß aber nicht ob physische Gewalt so schrecklich ist gegenüber den psychischen.
Ist die physische Folter so stark gewesen?
Das gleicht sich wahrscheinlich aus - zumindest bei mäßig intelligenten Menschen. Falls sie einem anderen mit physischer Gewalt drohen, ordnet er sich unter und wird gehorchen. Mich hätten sie nicht schlagen müssen, ich weiß es nicht, warum sie es mir angetan haben. Jemand hat den Befehl gegeben, dass Cerman zusammenschlagen werden soll, weil er mit uns nicht zusammengearbeitet hatte, weil er redet, er kämpft, weil er die Zeuginnen aus Frankreich verlangt. Den muss man zusammenhauen und so nach Leopoldov schicken. Gegebenfalls muss man ihn mittels anderen Häftlingen umbringen lassen. Leider ist auch so was manchmal in Gefängnis passiert.
Verprügelt wurden sie also nach dem Urteil, bevor sie nach Leopoldov eskortiert wurden, worauf können sie sich noch errinern?
An einige Sachen kann ich mich erinnern, dann habe ich mein Bewusstsein verloren, dann war ich kurz wach. Ob es das schlimmste ist, wo der Organismus das Bewusstsein verliert? Vielleicht ist es nicht das schlimmste. Als ich einen Schlag auf dem Kopf gekriegt habe, bin ich wahrscheinlich umgefallen und sie konnten mit mir machen was sie wollten. Dann bin ich am nächsten oder übernächsten Tag aufgewacht – so genau weis ich das nicht - weil die Zeit damals keine Rolle gespielt hatte. Ich war angebunden und sie sind mich immer anschauen gekommen, ob ich lebe und so. Alle Verurteilten haben nämlich Besuche gehabt. Ich hatte keinen Besuch, weil sie meiner Familie gesagt haben, dass ich ein bisschen krank bin. Das ich nicht ganz gesund bin. Meine Familie hat dann erfahren, dass ich verprügelt wurde und wollte wissen, was passiert ist. Mein Anwalt hat meiner Frau gesagt dass er Informationen hat, dass ich es möglicherweise nicht überlebe. Es wurde ihnen so erklärt, dass ich die Wachen angegriffen hatte, dass ich sie geschlagen hätte, nicht sie mich. Nachher haben sie mich ins Gefängnis nach Leopoldov eskortiert, wo ich in der Isolationshaft bleiben musste, weil ich angeblich die Wache angegriffen hatte. Also haben sie mich in eine Zelle im untersten Trakt im Leopoldov gesteckt. Ich bin zwar zusammengeschlagen worden, konnte aber normal spazieren. Mir ging es gut dabei endlich alleine zu sein, ich war aber völlig weg vom Leben. Es hat mich überhaupt nichts mehr interessiert ich war auf den Tod vorbereitet. Wo ich mir gedacht habe, da bin ich, am Ende, am Boden.
Was haben sie überlegt?
Dass ich nicht mehr leben muss. Ich habe an meine Frau gedacht - ob sie in Ordnung ist und so, aber ich war völlig ausgeglichen und akzeptierte den Tod. Und abends hat sich die Tür geöffnet und die Wachen sind hineingekommen, drei oder vier, weiß ich nicht mehr genau, mit zwei Hunden – Deutschen Schäferhunden. Der Häftling muss sich der neben dem Fenster hinstellen, also bin ich dort gestanden, einer ist zu mir gekommen sehr nah, ungefähr 10 Zentimeter nahe, eine unangenehme Nähe, und hat angefangen mich anzuschreien: Was wir für Mörder sind und wie wir noch hängen werden und dass sie es uns hier in Leopoldov noch schlimmer machen werden. Dies hat ungefähr zehn Minuten gedauert. Er hat seine Version, also wer wir sind geschrieen, die er aus den Zeitungen gehabt hatte. Das Gerücht, das um diesen Fall entstanden ist, gab es vorher nie, und ich glaub auch nicht nachher. Es war ein riesiger Mythus. Dann hat er zu Ende gesprochen. Ich habe mir gedacht, o.k., das ist mein Ende. So werden sie mich hier umbringen oder was weiß ich was. Ich war mit mir und der Welt im Reinen, ich sterbe, aber es ist gut. Ich weiß nicht warum, aber ich habe irgendwie zu diesem ungefähr 130 kg schweren Mann angefangen zu sprechen. Ich hatte vielleicht 60 Kilo von dieser bereits zweijährigen Haftzeit. Ich habe ihn monoton und langsam nicht ihre Version sondern die tatsächliche Wahrheit erzählt, wie ich da rein geraten bin. Er hat nichts gesagt, nur zugehört. Sie haben dann die Tür geschlossen. Er hat nur mit dem Finger gezeigt und gesagt: “nur nicht dass sie euch erhängen“ Und seit dem hat mir dieser Wachmann auch bei einigen anderen Dingen ein bisschen geholfen, wo es möglich war. Es war zwar fast unmöglich, weil wir alle unter strengster Aufsicht waren, angefangen mit der Aufsicht von der Seite der Mithäftlinge bis hin zum damaligen Justizminister. Der Justizminister wurde nach unseren Fall zum Generalstaatsanwalt ernannt. Er hat Inspektionen in Leopoldov gemacht und geschaut welche Arbeiten wir haben und ob uns zufällig jemand hilft. Einmal haben die Wachen zwei von uns geholfen einen Besuch zu bekommen und jemand hat sie verraten. Diese 2 Wachmänner wurden gleich zu einem anderen Arbeitsplatz verlegt, wo sie das Gefängnis draußen mit Maschinengewehren bewachen mussten. Dann ist die Situation gegen uns wieder schärfer geworden. Mein Schwager hat die schwersten Arbeiten bei niedrigsten Temperaturen gemacht. Der erste Winter war sehr kalt - minus zwanzig, minus dreißig Grad- sie haben dort die alten Akkumulatoren zerlegt, Säure ausgelassen und Kabel mit Messern und Äxten rausgeholt. Er hat sich ständig beschwert, hat sogar dem Papst geschrieben – wollte den Brief rausschmuggeln lassen. Sie haben den Brief abgefangen und haben ihn in eine Einzelhaft dafür gesteckt. Er hat aber weiter geschrieben...
Sie Sprechen von den anderen, wie war es mit Ihnen?
Ich habe an dem Tag, wo ich nach Leopoldov kam, einen besonderen Schutzengel gehabt, der mir damit geholfen hat dass niemand mir was Böses angetan hatte, das war die größte Hilfe. Dort im Gefängnis hat man mich nur gedemütigt. Sie haben mir zum Beispiel unter meinen Sachen ein Französischwörterbuch untergeschoben. Wahrscheinlich war es ein Mithäftling, und das Französischwörterbuch hat dann angeblich ein Wachmann gefunden. Ich wurde dann beschuldigt, dass ich emigrieren will, dass ich flüchten will, und deshalb Französisch lerne. Also haben sie mich aus der Zelle herausgebracht lassen, und ein 22- jähriger Wachmann, wobei ich selber damals 38 Jahre alt war, hat mich gefragt: „Werden sie eine physische Strafe aushalten oder schreibe ich über sie eine Meldung?“ Und ich hab mir nur vorgestellt, falls er eine Meldung schreibt, habe ich keine Chance aus dem Gefängnis jemals raus zu kommen, also habe ich gesagt, ich halte die Strafe durch, aber wofür? Und er hat gesagt: „Sie bereiten die Flucht vor, da haben sie ein Französischwörterbuch, jemand hat es für sie reingeschmuggelt.“ Ich hab gesagt:“ Das ist nicht die Wahrheit, jemand hat es mir unterschoben, ich wollte das ja gar nicht!“ Also ist er aufgestanden- es war so ein buckliger Wachmann namens Ivan, er hatte wahrscheinlich irgendeinen Komplex und begann mich zu ohrfeigen. Es ging nur um die Entwürdigung, aber diese Erniedrigung auszuhalten war mir lieber als eine Meldung zu kriegen und wieder keine Möglichkeit zu haben, mein Leben dort in Gefängnis besser zu gestalten. Die anderen Häftlinge haben es gewusst, dass er mich zusammengeschlagen hatte und haben mich nachher auch in einem anderen Licht gesehen. Ich habe ein bisschen Ansehen bei meinen Mithäftlingen in Leopoldov gewonnen. Ich hatte damals kein Geld und kein Essen, das alles haben sie uns immer genommen. Ein Häftling, der das ganze Gefängnis unter Kontrolle hatte, hat mich zur sich gerufen und hat mir Essen angeboten. Diese Situation war sehr schwer für mich.
Wie haben sie die Verurteilungen empfunden?
Im Grunde habe ich es ohne große Emotionen akzeptiert. Ich habe mich wie in einem Film gefühlt, als ob ich nicht mehr leben würde, ganz einfach, ich lebte nicht mehr. Ich war irgendwo anders, nur nicht in der Realität. Ich bin damals nicht auf den Boden gefallen, ich war aber in einer anderen Sphäre. Nicht in der Sphäre des normalen Menschen, das ist mir klar, dass es so war. Das Gericht verging in zwei Phasen. Es gab das Landesgericht, wo ich die Erwartung hatte, dass sie es nicht verurteilen können, weil es so viele Absurditäten gibt und auf so vielen Erfindungen aufbaut, dass es der Landesgerichtshof einfach nicht verurteilen kann. Und sie haben uns am Landesgerichtshof verurteilt. Auf dem Obersten Gerichtshof haben wir uns wieder berufen, wo wir wieder begründet haben, dass die Beschuldigungen vollkommen kranke und erfundene Sachen sind. Alle haben wir uns berufen, außer einem der mit ihnen ein Abkommen gemacht hat, damit er weniger Jahre sitzen muss. Ich weiß dass es ein Abkommen zwischen seinen Verteidiger und dem ursprünglichen tschechischen Ermittler war. Er hat ein Tag vor dem Gericht zu ihm gesagt: „reichen sie die Berufung nicht an, sonst kriegen sie einen Mord angehängt und sie kriegen 12 Jahre oder kommen nie wieder aus dem Gefängnis raus.“ Er hat seine Berufung zurückgezogen. Ein Paradox ist, dass gerade der Verteidiger heute der Chef der Anwaltskammer der Slowakei ist. Die Gefühle eines unschuldigen Menschen: „Es ist nicht mehr möglich, dass ich weiter gehe, dass was passiert ist. Wer sind die Menschen die uns verurteilt haben?“ Gerade mir ist ein Satz von einem ehemaligen Ermittler, damals 1978-1979 wo ich noch in der Freiheit war- durch den Kopf gegangen, der gesagt hat: „Wir treffen uns vor Gericht!“
Wer war dieser Ermittler?
Der ursprüngliche Ermittler Obersleutnand Palka und sein Mitarbeiter Rohan aus Prag, wahrscheinlich ein Geheimdienstmitarbeiter, der mich in den Jahren 1978-1979 verhört hatte. Ich verstand es damals nicht. Er hat 1979 zu mir diesen Satz gesagt: „Wir treffen uns vor Gericht und hier in der Slowakei werden noch ganze Familien zittern. Denken sie sich, dass ihnen jemand helfen wird? Egal ob sie unschuldig sind oder schuldig, ich werde diesen Fall abschließen!“ Und später ist es mir bewusst geworden, dass dieser Man noch immer den Finger drüber hält. Wahrscheinlich haben ihm auch die Richter nicht geglaubt. Der Vorsitzende vom Senat hat erschreckend gezittert, wie vor einem Infarkt. Ich glaube nicht, dass die Richter sich damit identifiziert haben. Es wurde speziell für unseren Fall ein außerordentliches Senat eingerichtet, immer mit dem Ausschluss der Öffentlichkeit.
Sie haben gemeint dass sie für die Verurteilung am Obersten Gerichtshof unter Drogen standen, was haben sie da empfunden?
Da erinnere ich mich bei der Verkündung vom Urteil am Obersten Gerichtshof auf den gebrochenen, damals schon psychisch sehr kranken Roman Brazda, auf dem sie es alles abgewälzt haben. Dieser Mann ist von der Bank aufgesprungen und hat wie ein verletztes Tier geschrieen. Das war ein leidvoller Schrei, für uns alle, gegen das System. Er hat geschrieen: „Das Alles ist eine Erfindung!“ Roman Brazda war derjenige gewesen, wo sie von mir ursprünglich wollten, dass ich gegen ihn aussage. Nach dem Schrei haben sie ihn hingesetzt, dann haben sie uns weggeführt und ich bin in die Zelle gekommen. Und damals ist mit mir nach zwei, drei Tagen etwas passiert, dass die ganze Absurdität aufzeigt. Entweder ist meine Psyche so locker geworden oder sie haben mich und einige andere unter Drogen gesetzt. Ich hatte vor dem Verfahren am Obersten Gericht wieder einen Menschen in der Zelle bekommen der ein ausgiebiges Essen bekommen hatte, der verschiedene Pillen bei sich hatte, Diazepan und verschiedene Pillen mit Kreuzchen, die er mir angeboten hatte. Ich habe nie Drogen genommen und es immer abgelehnt vor allem wegen den Erfahrungen von den vorigen Monaten. Mir wurde bewusst, dass ich klar bleiben muss, dass ich wissen muss, was mit mir los ist. Ich bin heute davon überzeugt, dass es diese Art der Manipulation gab, weil ich aus der Zelle ausgeführt wurde und dieser Mitinsasse irgendetwas dort gemacht hat. Ich denke nicht, dass die Psychosen von selbst ausgelöst wurden, sondern bin davon überzeugt, dass Drogen im Spiel waren. Bei den Verhandlungen haben es auch meine Familienangehörige gemerkt dass etwas mit mir nicht stimmt.
Das heißt dass Mithäftlinge eine wichtige Rolle in diesen Fall gespielt haben und die Angeklagten manipuliert haben?
Ja, um uns herum sind nicht nur normale Ermittler gegangen, sondern auch zivile Ermittler, die auf uns aufgepasst haben, ein so genannter Geheimdienst, der mit angesetzten Häftlingen gearbeitet hat. Diese angesetzten Häftlinge, in diesem streng bewachten Fall sind zwischen uns zirkuliert. Also wie ich später von den anderen erfahren habe, war zum Beispiel Einer zwei Monate bei mir, ein Monat bei einem anderen in der Zelle. Damit sie Informationen übertragen, damit sie diesen Fall so verdrehen und damit sie aus diesem „Gulasch“ eine Anklage machen können.
Wie war es als sie 1989 auf Bewährung entlassen wurden, wie war ihr erster Eindruck von der Freiheit?
Bevor ich tatsächlich entlassen wurde, bin ich in den leichtesten Strafvollzug nach Kosice versetzt worden. Damals bin zum ersten Mal vom Gefängnis raus gekommen weil sie mir 3 Tage frei gegeben haben. Es war irgendwann während Weihnachten 1989. Ich kann mich auf den Moment des Verlassens des Gefängnisses nicht mehr erinnern, aber genau damals haben die Menschen in Kosice Kerzen vor der Kirche angezündet aus Solidarität, weil Chauchesko´s Regime gerade an diesen Tagen in Rumänien in die Menschenmengen geschossen hat. Ich weiß nur, dass ich hingegangen bin und Kerzen dort angezündet habe. Ich kann mich aber nicht mehr erinnern, wie ich nach Nitra zu meinen Eltern gekommen bin. Ich weiß es nicht, wahrscheinlich bin ich mit dem Bus hingefahren. Von diesen Weihnachten erinnere ich mich, dass meine schon damals von mir geschiedene Frau zu meinen Eltern gekommen ist und ich habe das erste Mal nach einer sehr langen Zeit meine beiden Töchter gesehen. Nach fünf oder weiß nicht mehr nach wie vielen Jahren schon, weil sie aufgehört haben mich zu besuchen.
Sie haben ihre Kinder nach einer so langen Zeit gesehen, wie ist die Begegnung abgelaufen?
Ja, ich habe Sie zum ersten Mal nach so langer Zeit gesehen und das war mein erster Kontakt mit meinen Kindern. Die Kinder haben keine Ahnung gehabt, wer ich bin. Vielleicht hat es die ältere Tochter gewusst. Sie haben mich trotzdem umarmt. Das war ein sehr schöner Moment, ich musste aber nach Weihnachten noch mal für drei Tage ins Gefängnis. Also bin ich wegen dem letzen Gerichtstermin zurückgekehrt, wo die Entlassung auf Bewährung verhandelt wurde. Und dies passierte genau am 30. Dezember, genau am Tag wo Havel zum Präsidenten gewählt wurde. Und dann war ich in der Freiheit. Ich bin wieder von Kosice nach Bratislava gegangen, aber ich würde nicht sagen, dass ich mich frei füllte. Ich habe nicht gerade ein Gefühl der Freiheit gehabt, zwar konnte dann überall hingehen, ich hatte aber Angst. Ich hatte gleichzeitig Angst, dass jemand Irgendetwas auf mich ausdenkt, damit sie mich wieder einsperren. Das war mein subjektives Gefühl. Also bin ich wo es nur ginge nur zusammen mit meinem Neffen oder meiner Cousine gegangen, die ungefähr 13 oder 15 Jahre alt waren. Ich bin nach Bratislava in eine Organisation gegangen, es hieß VPN (Öffentlichkeit gegen Gewalt) ähnlich wie das Bürgerforum in der Tschechei oder Solidarnost in Polen. Ich bin in die Zentrale gegangen und habe jedem der dort war, darüber erzählt. Es gab damals den Vorsitzenden Langos, später eine Persönlichkeit der politischen Szene, ich habe es jedem in der VPN erzählt. Jeder hat nur mit dem Kopf geschüttelt. Es gab in der VPN Journalisten aus Frankreich, die es mitgehört haben und nachgefragt haben. Sie haben mich nach Nitra gefahren und wir haben dort mit den anderen in diesen Fall Verwickelten, die schon frei waren, und mit den Eltern eine Reportage gedreht. Das heißt, dass ich von meinem ersten Schritt in der Freiheit diese Geschichte weiter verfolgt habe. Ich habe mit Journalisten zusammen Zeugen besucht. Das heißt, ich habe von Beginn an angefangen zu kämpfen, weil noch drei Unschuldige im Gefängnis saßen und endlich etwas passieren musste.
Sie meinen, sie haben sich nicht frei gefüllt?
Dies heißt, ich hatte kein Freiheitsgefühl, eigentlich bin unfrei geblieben. Ich konnte mich zwar in einem größeren Raum bewegen, ich konnte in die ganze Welt gehen bin aber unfrei geblieben, weil diese Urteilsverkündungen, die gegen mich und die anderen gemacht wurden, darüber ausgesagt haben, dass ich der Täter bin. Und diese Gerichtsurteile besagen es bis heute und immer wieder. Die ganze Absurdität ist wieder zurückgekommen, als ob sich Nichts in der Justiz geändert hätte. Das ist schrecklich, man kann es einfach nicht akzeptieren, dass ein Mensch so bis zur seiner Pension weiterlebt.
Sie haben gesagt, dass es 1989 noch 3 Menschen im Gefängnis saßen?
Als die Journalisten schon 1989 diesen Fall aufgegriffen hatten, wurde eine Beschwerde gegen das Gerichtsurteil vom 1983 eingereicht. Der mit diesem Fall betraute Generalstaatsanwalt hatte diese Beschwerde ignoriert und erst als ein neuer Generalstaatsanwalt mit diesem Fall betraut wurde, hat er diese Beschwerde weitergereicht. Sie haben es dort gelesen und haben gesehen, dass es eine Absurdität ist. Der Föderale Oberste Gerichtshof im Jahre 1990 hat alle Urteile annulliert und hat eine Neuverhandlung am Landesgerichtshof angeordnet. In dieser Anordnung sind 72 schwere Fehler angeführt, die die vorigen Gerichte in der sozialistischen Justiz gemacht haben. Was völlig klare Sachen sind, für jeden normalen Menschen. Also hat es das Landesgerichthof bekommen, der aber erst nach unserer Intervention in Straßburg nach 14 Jahren tätig wurde und der wieder dasselbe Urteil von 1983 bestätigt hatte. Als ob in diesen 14 Jahren nichts passiert wäre, als ob sie es bestätigen müssten, war ihre Vorgänger entschieden haben!
Wieso meinen sie dass sie es tun mussten?
Weil es keine andere Erklärung dafür eigentlich nicht gibt. Wir haben auch raus gefunden, wie die Kontakte und Verbindungen zwischen dem neuen und alten Senat bestehen. Im Jahre 2004 haben sie mich wieder verurteilt, ich habe von diesem Gericht wieder 12 Jahre gekriegt und die anderen mal ein bisschen mehr mal weniger als ursprünglich bekommen. Und jetzt vor einer Woche, am 4. Dezember, hat das Oberste Gericht dieses Urteil bestätigt. Ich bin schon wieder rechtmäßig verurteilt, und sie haben mir 11 Jahre diesmal gegeben. Ich bin nach der Entscheidung des Gerichtes einer der Täter. Ich sollte morden, vergewaltigen und was weiß ich was noch. Also ist die Situation genau dieselbe, wie im Jahre 1982. Sie haben gar keine neuen relevanten Beweise zugelassen. Nicht die gesetzwidrigen Verhöre oder zum Beispiel die Französinnen, meine Zeuginnen die 25 Jahre später beim Gericht bezeugt haben, dass sie während der angeblichen Tatzeit mit mir zusammen waren.
Sie meinen, dass es eine riesige Enttäuschung war?
Schon nach dem Urteil vom Landesgerichtshof im Jahr 2004 waren wir alle entsetzt. Die Journalisten, die sich zehn Jahre mit dieser Geschichte beschäftigen, die Verteidiger, wir selber und unsere Familien. Es war eine schreckliche Endtäuschung, vor allem hatte das Gericht alle rechtlichen Befugnisse und Beweise, das Urteil zu revidieren zur Verfügung. Man macht so etwas in einem normalen demokratischen Land einfach nicht. Es war für uns unmöglich. Das hat niemand erwartet. Es ist so, als ob sie Ihnen ein zweites Mal den Kopf abhacken und diesmal noch mit dem Untertitel: „für den demokratischen Staat“ Das ist nicht zu akzeptieren.
Sie haben nie Hoffnung verloren?
Es gab keinen einzigen Tag im Gefängnis, wo ich nicht daran geglaubt hätte, dass eines Tages die Wahrheit ans Licht kommen wird. Also habe ich ständig Beschwerden eingereicht und Anträge für die Wiederaufnahme des Verfahrens. Meine Familie hat mich da sehr unterstützt. Sie haben auch viele Beschwerden und Erklärungen für meine Entlastung verschickt - sie waren eine sehr große Unterstützung für mich. Mir war klar, dass für sie draußen die Umgebung noch ein schlimmeres Gefängnis bereitete, weil sie meine Familie waren. Alle Menschen, Freunde und Verwandte waren der Familie behilflich, zumindest denke ich es mir so. Im Gefängnis war dies für mich eine sehr starke Stütze, ich habe auch meiner Exfrau damals gesagt: „Packt eure Sachen, geht’s weg von dieser Republik, irgendwie fliehen, lebt ein Leben, ihr müsst ein Leben zu leben, weil ich nicht weiß, ob ich’s hier überhaupt noch länger aushalte oder ob sie mich nicht umbringen lassen.“ Als sich meine Frau damals scheiden ließ, war es für mich schwer, aber ein Mithäftling hat mir Yoga turnen empfohlen und so.
Er hat mir einige Übungen gezeigt, und ich bin nicht zerbrochen. Meine Eltern und meine Schwestern standen mir bei und wussten dass es ein Schwachsinn ist.
Ihre Frau hat sich scheiden lassen?
Meine Exfrau ist die eine direkte Zeugin meiner Unschuld, weil sie in der angeblichen Tatzeit mit mir war. Sie musste diese Absurdität akzeptieren, und sie konnten sie damals jederzeit mitnehmen und der Falschaussage beschuldigen. Sie hat nämlich als meine Ehefrau nicht den Paragraphen genutzt, dass sie als Familienangehörige nicht aussagen muss. Sie ist zum Gericht gekommen und hat die Wahrheit gesagt. Sie haben sie zwar nicht eingesperrt, sie hätten es aber jederzeit tun können und haben es ihr auch deutlich gemacht. Also alle Ehre, dass die Familie und Verwandte zu uns gehalten haben und für uns gekämpft haben. So war es bei mir und ich denke bei anderen ebenfalls. Es ist damals teilweise so umgekippt und wir gegenseitig den Einen oder den Anderen verdächtigt haben. Es war aber während der Haft, wo man noch nichts wusste. Erst nach dem die Akten offen gelegt wurden, haben alle feststellen können, dass es sich so auf gar keinen Fall zugetragen haben konnte. Ich habe wirklich teilweise manchmal geglaubt dass tatsächlich irgendeiner von uns mit der Sache zu tun hatte. Die anderen haben sich dasselbe von mir gedacht. Wir waren füreinander teilweise fremde Personen. Fremde.
Man fragt sich nur, warum sie so viele Menschen für diese Tat einsperrten und verurteilten?
Das war das psychologisches System, dass es sicher möglich ist, wenn sie zehn Leute einsperren, mit Druckmitteln und Befugnissen, diesen Fall mit einer großen Publizität abzuschließen und abzuhacken. Man kann Ähnlichkeiten zu den Schauprozessen der 50er Jahre erkennen. Und dieser Mythus existiert in der slowakischen Gesellschaft bis heute und wird für immer dort bleiben. Es ist schwer, es von den Menschen rauszulöschen, weil sie jetzt nicht mehr glauben. Es ist schwer.
Wie gestaltet sich das Leben jetzt nach der Wiederverurteilung?
Ich kann doch nicht mehr in einer normalen Gesellschaft leben. Ich muss überall erklären, wie es wirklich war, meiner Umgebung immer was zum studieren geben. Die Menschen haben kein Interesse. Jeder hat seine Probleme. Sie haben es so in den Köpfen der slowakischen Gesellschaft eingepflanzt. Warum sollten sich die Leute mit unangenehmen Dingen beschäftigen? Man lebt in einem „Gedächtnis-Gefängnis“ von 5 Millionen Menschen. Es ist die gesamte Slowakei, weil sie mir schon wieder ein Urteil mit einem Stempel gaben, dass ich einer von denen bin.
Welche Schritte folgen jetzt dem Urteil am Obersten Gerichtshof?
Es ist klar, dass es weitere juristische Schritte geben wird. Es folgt eine Berufung, dann Verfassungsgerichtshof, dann folgt Straßburg. Es haben uns mittlerweile auch einige Politiker deutlich gesagt, dass wir in der Slowakei keinen Durchbruch schaffen werden. Sie meinten nur schnell in der Slowakei abschließen und weg damit von der Republik.
Es ist erst dann möglich, wenn Straßburg etwas verordnet und die Anwälte es gewinnen und schließlich „erleiden wir den Sieg“.
Was meinen Sie mit „Erleiden den Sieg“?
Wissen sie was ein „Erleiden vom Sieg“ ist? Sie sagen: „Zwar sind wir uns nicht ganz sicher, aber na gut, ihr habt Recht und der Staat wird auch was dazu sagen.“ Es passiert aber in zehn Jahren und nur vielleicht. Irgendwann, nach meinem Tod, werden sie sich vielleicht bei meinen Töchtern entschuldigen. Oder irgendwelche Klons von denen!
Ich lasse es nicht zu, dass Sie mir meine Familie das zweite Mal nehmen, ich war schon einmal unsinnig verurteilt, war 8,5 Jahre im Gefängnis und das hat gereicht. Das zweite Mal wieder ein unsinniges Urteil und ich sollte nochmals ins Gefängnis für ein paar Jahre. Diese Absurdität ist nicht mehr zu überstehen, es ist für einen Menschen einfach zu viel.