Donnerstag, 31. Januar 2008
Courts too charitable to mafia
The Košice district court on January 8 halted criminal proceedings against Róbert Okoličány for extortion, reasoning that it would be “ineffective” to continue because the reputed Košice mafia boss and his accomplices face more serious charges of murder and attempted murder before the Special Court for organised crime.
So what does the mafia in Slovakia have to do to actually be tried and convicted?
In this case, the Košice district court based its decision on paragraphs 215 and 218 of the old Code of Criminal Proceedings, which gave prosecutors and courts the power to stop cases “if the penalty that can be awarded in the case is less severe than the penalty that has already been levied on the accused or can reasonably be expected in another case”. In other words, the courts are not obliged to go to the expense of trying convicted murderers for petty theft.
Arrested in 2005, Okoličány and 15 others have been charged with 19 crimes including five murders, attempted murder, assault causing bodily harm, and extortion. Proceedings were broken off in the Special Court last year after the court heard 144 witnesses, leaving the violent crew a long way from being found guilty. Thus, the Košice court verdict could mean that Okoličány gets off scot free if the Special Court finds him innocent. More than that, the court was not obliged to drop the charges, but apparently took the initiative to cut Okoličány a little slack.
Don’t we want the courts to try dangerous criminals on every charge brought against them? If they did, it would not merely increase the likelihood that they actually served time, but it would also be a measure of how well the police and prosecution are doing their jobs. Now, if the Košice court’s verdict is upheld, we will never know whether Okoličány, as the police allege, actually organised the extortion of Sk1 million from the Energyco company in 2002, or whether this was another case from the 2001-2006 era of police anti-mafia crusader Jaroslav Spišiak that has collapsed due to prosecution resistance or court incompetence.
As Supreme Court justice Štefan Minárik read out his poisonous verdict against the accused in the 1976 murder of medical student Ľudmila Cervanová last year, spectators might have been excused for praying that they never found themselves at the mercy of Slovakia’s courts and their whimsical notion of justice. The mafia, on the other hand, seems to have even less to fear from the country’s legal system.
Montag, 21. Januar 2008
Causa "Cervanova" INTERVIEWS: Frantisek Cerman
Am 22. 9. 1982 wurde er vom Obersten Gerichtshof zur 12 Jahren Haft verurteilt. Am 30. Dezember 1989 wurde er auf 5 Jahre Bewährung freigelassen. Seit dem er sich in der Freiheit befand hat er für ein gerechtes Verfahren gekämpft.
Am 4.12.2006 wurde er vom Obersten Gerichtshof der Slowakei zur 11 Jahren Haft wiederverurteilt. Seit dem ist es unklar ob er die Haft antreten muss oder nicht.
Was haben sie sich von den Gerichten in den letzten 17 Jahren, also seit dem sie in der Freiheit leben erwartet?
Ich habe erwartet, dass die Gerichte endlich gerecht entscheiden werden. Man kann es nicht akzeptieren, ich kann es nicht mehr akzeptieren, meine Verwandten können es nicht akzeptieren. Alle wünschen sich, dass dieses Gefängnis endlich endet. Es dauert eigentlich in unserer Familie und in unserer Psyche seit mehr als zwanzig Jahren. Es ist eine Absurdität, die keinen Vergleich hat. Diese Absurdität hat sich vom ehemaligen Regime ausgehend in unsere Gesellschaft eingeschlichen. Das wird einigen unschuldigen Menschen, unter denen ich auch bin, wehtun und hat wehgetan. Es ist nicht mehr möglich es zu ertragen, man hat doch nur ein Leben. Diese Phase, in der ich beschuldigt, angeklagt, verurteilt, dann auf Bewährung raus gelassen und dann wieder beschuldigt und angeklagt wurde dauert mein ganzes Leben.
Die Urteile wurden doch im Jahr 1990 aufgehoben, wo auf alle Fehler des vorigen Urteiles vom Jahr 1983 hingewiesen wurde. Daraufhin wurden wir wieder angeklagt. Wir haben seit dem Jahr 1990 verlangt, dass die Gerichte agieren und trotzdem haben sie nichts gemacht. Wir haben uns in Straßburg beschwert. Erst dann sind die Gerichte nach einer zwölfjährigen Wartezeit tätig geworden. Wieder haben dieselben Menschen beziehungsweise deren Freunde wie in der Vergangenheit das gleiche gemacht, nämlich wieder unschuldige Menschen verurteilt und ein unsinniges völlig absurdes Urteil aus den Jahren 1982 und 1983 bestätigt. Womit sie uns eigentlich deutlich gemacht haben, dass es hier in der Slowakei eine alte düstere Kraft gibt. Das kann man nicht mehr akzeptieren!
Wie ist die ganze Geschichte aus Ihrer Sicht passiert? Wie sind sie in die Causa Cervanova überhaupt hineingeraten?
Im Sommer 1976 hatten wir (meine damalige Verlobte und spätere Ehefrau und ich) Besuch aus Frankreich. Zwei Studentinnen, die bei uns zehn Tage zu Besuch waren. Zwei Jahre später, also 1978 begannen gewisse Ermittler aus Prag bei mir zu recherchieren. Sie haben gemeint dass ich die zwei Ausländerinnen zu Besuch hatte und stellten Fragen zu ihrem Aufenthalt. Dies geschah in einer Phase, wo es um den konkreten Tag ging, an dem wir bei einer Feier in einem Club waren. Dann haben sie mir gesagt, dass nämlich eine Studentin aus diesem Club entführt wurde und ihre Leiche in der Nähe von Bratislava gefunden wurde. Dies geschah zwei Jahre nach der kritischen Zeit. Die Verhöre sind in die Richtung gegangen, dass ich die Personen nennen musste, die an dieser Feier teilgenommen hatten. Die Ermittler wollten, dass ich konkret bezeuge, dass eine bestimmte Person, nämlich Roman Brazda, dort anwesend war. Das waren Verhöre, die sehr intensiv abgelaufen sind. Ich wurde von in der Früh bis spät abends verhört. Ich musste etwas über meine Bekannte sagen und zwar so, dass sie mich in dieser Phase zu Aussagen gedrängt haben, die nicht der Wahrheit entsprachen. Ich habe es trotzdem noch bis zu diesem Zeitpunkt für eine normale Ermittlung gehalten. Daraufhin habe ich bei dem zuständigen Minister eine Beschwerde bezüglich den Ermittlern und derer Methoden eingereicht, was zur Folge hatte, dass sie mich noch für drei Tage ins Gefängnis eingesperrt haben. Dort war ich mit einem Mann in einer Zelle, der mir ständig Sachen von der Ermordeten erzählt hatte. Nach diesen drei Tagen Haft haben sie mich wieder verhört. Ich habe mich dabei beschwert, was für einen Mitinsassen haben sie mir in die Zelle rein gegeben, was das heißen soll, und Einer der Ermittler, der mich verhört hatte, hat mir nur so gezeigt (Psst).
Was sollte das heißen?
Sag - sagt nichts. Ich habe ihn gefragt, soll ich jetzt die Wahrheit sagen oder Das, was mir durch die Verhöre und Erzählungen eingetrichtert wurde? Er sagte : „Wahrheit“ - also habe ich die Wahrheit gesagt, soweit ich mich noch an diese Zeit, als die Französinnen da waren, erinnert habe, nämlich, dass wir auf einer Feier waren, einmal und dann noch einmal in diesem konkreten Club.
Was ist dann nach dem Jahr 1979 passiert?
Nachdem haben mich die Ermittler für zwei Jahre in Ruhe gelassen. Eine Woche vor meiner Verhaftung im Jahre 1981 sind meine schwangere Frau, meine Tochter und ich in den Urlaub nach Jugoslawien gefahren, mit dem Vorsatz - heute kann ich’s schon offen sagen- zu emigrieren. Wir haben Sachen in Deutschland und Kalifornien vorbereitet gehabt. Auf der Grenze haben sie uns eine große Durchsuchung gemacht - auch bei meiner schwangeren Frau - und haben uns unter dem Vorwand zurückgeschickt, dass wir von irgendwelchen Nachbarn angezeigt wurden. Von diesem Moment an haben uns drei Autos noch fünf oder sechs Tage bespitzelt. Schließlich haben sie, eine Woche nach unserem Versuch über die Grenze zu gelangen, also Montag früh um sechs an unserer Tür geklopft. Ich habe mich von meiner schwangeren Frau und meiner Tochter mit dem Gedanken verabschiedet, dass sie mich bezüglich der geplanten Emigration verhören werden.
Also hat Sie die Polizei am 15. Juni 1981 um 6 Uhr in der Früh von Zuhause abgeführt?
Ja, die Polizei hat mich in ein Gefängnis außerhalb von Bratislava gebracht und dort haben sie wieder angefangen, mich bezüglich der Vorkommnisse vor 5 Jahren zu verhören. Dort habe ich wieder gesagt, dass ich mit den Französinnen zusammen war und dass ich darauf bestehe, dass diese Zeuginnen auch verhört werden, weil sie nur einmal in der Tschechoslowakei waren. Sie könnten vielleicht etwas mehr sagen, einen Eindruck von dieser Feier, falls wir am kritischen Abend überhaupt an einer Feier waren, weil das Menschengedächtnis ist so…
Was ist weiter passiert?
Sie haben es zurückgewiesen und haben mir ausdrücklich gesagt: „…Vorsicht jetzt läuft es schon knallhart - ins Gefängnis sind schon ganz andere Menschen gekommen und keiner mehr kommt da raus...“. Wie ich dann später erfahren hab, haben sie am ersten Tag wo sie mich verhaftet haben, meinem Vater gesagt, dass sie mich hängen werden. Daraufhin hat er einen Nervenzusammenbruch erlitten und verbrachte einen Monat in der Psychiatrie. Das habe ich aber erst später erfahren, also - wenn ich zurückgehe - sie haben mich im Juni 1981 eingesperrt und seit dem Tag bis zum Jahr 1989 war ich eingesperrt, am Anfang war ich zwei Jahre in der Untersuchungshaft. Ich kann sagen, es war eine Folter. Psychischer Folter. Das war kurz erzählt, wie ich dazu gekommen bin.
Wie wurden also die Verhöre gestaltet?
Die Verhöre vor meiner richtigen Verhaftung im Jahr 1981 gestalteten sich so, dass sie mir unterstellt haben, dass ich absichtlich gewisse Sachen verheimliche und deswegen sie mich zwischen 1978 und 1979 verhören. Damals war ich noch in Freiheit und es war immer so, dass sie mich verdächtigten, dass ich ihnen etwas verheimliche, etwas, was denen helfen könnte. Das ich etwas weiß, was ich auch selber nicht weiß, dass ganze Familien zittern werden, dass sie mich einsperren und spezielle Zellen schon vorbereiten und dass wir uns vor Gericht treffen.
Als ich 1981 ins Gefängnis gekommen bin, habe ich gleich einen Zettel gekriegt, wo sie mich wieder beschuldigt haben, dass ich etwas verheimliche. Am zweiten oder dritten Tag in der Haft habe ich wieder einen Zettel bekommen, wo ich des Mordes beschuldigt wurde - als Mittäter zusammen mit zwei anderen Personen. Von diesen zwei Personen habe ich einen gekannt - es war mein Freund und der zweite war für mich eine völlig fremde Person. Den Zweiten habe ich nur vom Sehen her gekannt, aber nie zuvor in meinem Leben mit ihm gesprochen. Ich wusste nur dass diese Jungs aus Nitra kommen. Nach zwei weiteren Monaten in Haft habe ich dann die Anklage bekommen, dass ich wegen Mord und Vergewaltigung als Mittäter mit weiteren Personen angeklagt bin. Es sind noch drei Personen dazu gekommen. Wir waren dann insgesamt schon sechs Männer. Nach weiteren drei Monaten habe ich eine Anklage bekommen, dass ich auch wegen Entführung, Mordes, Vergewaltigung und Freiheitsberaubung angeklagt bin und später ist dazu noch Hausfriedensbruch dazugekommen.
Wie hat sich der psychische und physische Druck abgespielt?
Der erste Druck ist der psychische. Ich habe ja nicht gewusst ob sie mich jetzt wegen der geplanten Emigration einsperren. Sie haben auf mich Druck gemacht, damit ich denen alles erzähle und das ich ein Zeuge irgendeines Mordes bin. Das war so ein Spiel - sie haben ständig gesagt, „…sie waren bei dem Mord…sie waren es nicht, es waren die anderen…“ das war psychischer Druck. Ich habe immer gefragt welche anderen, wenn ich die nicht kenne. Am Anfang war es der psychische Druck, die ersten drei Tage, als ich noch nur beschuldigt war, also noch vor der Anklage. Sobald sie mich aber angeklagt haben, ist ein zweites psychisches Trauma dazugekommen. Nämlich, dass man sie in eine Zelle einsperrt, aber in keine normale Zelle, sondern in eine spezielle Zelle für Mörder. Sie geben sie zwischen die Mörder, die tatsächlich etwas gemacht haben. Zumindest vielleicht, weil ich heute der Justiz Nichts mehr glaube. Das heißt sie sperren sie hinter eine erste normale Gefängnistür, hinter der aber spezielle Gittern folgen und weiter noch speziellere Sicherheitstüren in die speziellen Abteilungen führen. Das belastet einen Menschen, weil man sich fragt: wie gibt’s so was? das gibt’s doch gar nicht, das ist doch nicht möglich! Sie werden verrückt von dem eigentlichen Aufenthalt dort, es ist wahnsinnig, es bricht auf sie herein und sie müssen es akzeptieren, dass das System langsam aus ihnen einen Mörder macht. Und sie sind sauber und unschuldig - das ist etwas Schreckliches!
Wie ginge es dann weiter, nach dem sie schon angeklagt wurden?
Sie bringen ihnen dann eine Aussage, von Irgendjemand, konkret war das ein Mensch (Anm. Milos Kocur, siehe Interview Milos Kocur), den ich nicht einmal gekannt habe. Dieser Mensch ist innerhalb von drei Tagen Verhöre nach dieser Anklage zusammengebrochnen und hat Sachen ausgesagt, von denen er bis heute selber nicht weißt, warum er sie so ausgesagt hat. Das habe ich aber erst später erfahren. Also wenn sie ihnen diese Aussagen zeigen, dass dieser Mensch über sie spricht und sie ihn nicht einmal kennen und der Ermittler auf sie Druck macht, dass sie lügen, dann haben sie keine Chance. Ein unschuldiger Mensch kann sich einfach nicht währen, er muss nur warten, aber wenn sie zum ersten Mal mit solcher Umgebung in den Kontakt kommen, wissen sie nicht, was geschehen wird, das heißt der psychische Druck ist sehr stark.
Und die zweite Sache: Ich habe immer von meiner schwangeren Frau erzählt bekommen, die damals mit meiner zweiten Tochter im siebten Monat schwanger war. Sie haben mich immer im Unklaren gelassen, ob sie vielleicht eine Fehlgeburt erlitten hätte oder ihr etwas anderes passiert wäre. Informationen über meine Frau haben mir aber nicht die Ermittler gegeben, sondern die anderen Gefangenen, die mit mir in der Zelle waren.
Nach zwei Monaten Haft haben sie mich in eine andere Zelle verlegt. Es war nicht mehr die Spezialabteilung, man könnte sagen mildere Abteilung, aber mit fünf kräftigen Menschen, Zigeunerherkunft, man konnte es sehen, dass es Berufsverbrecher waren.
Was meinen sie mit Berufsverbrechern?
Wenn ich es nur beschreiben könnte, wie diese Männer ausgeschaut haben. Wenn sie nämlich so einen Menschen zum ersten Mal im Leben treffen ist es sehr schwer. Ich habe in einer relativ zivilisierten Welt gelebt - obwohl unter solchen schizophrenen Atmosphäre im kommunistischen Regime. Verlegt haben sie mich also nach zwei Monaten, genau nach dem Paragraph - zwei Monate Gefangenschaft und dann besteht die Möglichkeit der Entlassung in die Freiheit. Ich habe gehofft. Sie haben die Tür der Zelle geöffnet, haben mich aber nicht in die Freiheit entlassen. Sie haben mir nur befohlen die Sachen zu packen und haben mich in eine andere Zelle eingesperrt wo diese fünf Menschen waren. Diese Männer haben gleich damit angefangen, mich zu verhören. Hautsächlich zwei von denen, die in der Zelle waren. Sie haben mich verhört und bearbeitet. Sie haben ständig von der gesamten Tat erzählt und zwar wirklich ständig und ohne Pause. Die ganze Zeit haben sie, sogar auch miteinander, über die angebliche Tat gesprochen. Das heißt, dass dann ich wie ein Plastilin zum tatsächlichen Verhör erschienen bin. Als ich gesagt habe, dass ich ihre Gespräche und ihre Informationen, die sie mir übermittelt haben nicht mehr hören möchte, haben sie sich auf meine angebliche Aussage berufen. Man ist dabei vollkommen wehrlos, weil man alleine ist. Zum Beispiel kriegt man ein Minimum zum Essen. Die anderen in der Zelle hatten irgendwelche Protektion und hatten genug zum essen gehabt. Verstehen sie mich? Es ist so eine Situation wo ein Mensch psychisch runterkommt und selbstverständlich physisch und überhaupt.
Als ich mich dann getraut habe und gesagt habe, dass ich darüber nicht mehr reden werde, haben sie mich einfach wie einen Hund zusammengeschlagen. Der Mitinsasse, der mich verprügelt hatte, hat nachher auf die Tür geklopft und wurde verlegt. Wahrscheinlich damit es zu keinem Konflikt kommen kann - oder etwas ähnliches von meiner Seite. Als ich dann nach unten zum Verhör vorgeführt wurde, war ich zwar blau und die Polizisten haben gefragt, was mir passiert ist, ich habe nur gesagt, dass ich mich irgendwo angehaut habe. Ich hatte Angst gehabt, weil ich nicht wusste ob es vielleicht weitergeht falls ich mich beschwere. Das waren solche Momente, wo sich einer sagt, dass das System wirklich nicht die Wahrheit wissen will. Die Wahrheit interessiert niemand. Interesse ist nur, dass irgendwer beschuldigt und angeklagt wird. Aber von da kommst du nicht mehr raus und hier werden noch mehrere dazukommen. Und so ist es auch passiert.
Was meinen Sie mit dem dass andere dazukommen werden?
Sie haben anschließend meinen Schwager eingesperrt, welchen sie auch dazu genötigt haben, gegen mich auszusagen, was völlig absurd ist, weil ich ihn nicht einmal in der Zeit der angeblichen Tat gekannt habe. Aber wahrscheinlich weil er von meiner Familie war, haben sie ihn genommen, damit der psychische Druck auch auf die ganze Familie größer ist. Damit sie uns völlig zerstören. Sobald sie ihn eingesperrt haben, gingen Gerüchte herum, dass wir eine Familie von Mördern sind - auch unsere Ehefrauen erfuhren es oft- und dass wir in Leopoldov enden werden. Das war eines der schwersten Gefängnisse in der ehemaligen Tschechoslowakei. Sie haben es uns ständig deutlich gemacht und gesagt dass sie unsere Familien zerschlagen werden. Ungefähr solche Informationen haben wir alle damals gehabt. Was heißt, der psychische Druck auf - sagen wir so - intelligente Menschen, ist viel mehr inakzeptabel, als die physische Gewalt, die abgelaufen ist. Wenn sie Einen den Kopf gegen den Tisch schlagen, oder man einen Schlag ins Gesicht kriegt, sind es Kleinigkeiten- würde ich sagen. Der psychische Druck ist der stärkste. Die Polizei, Geheimdienst und der Staatsanwalt haben es sehr gut gewusst. Es war ein Szenarium, das durch ein Team von Leuten erstellt wurde, denen es nur darum ging, diesen Fall exemplarisch zu machen und aus uns Mörder zu kreieren. Das schlimmste ist dass es diese Menschen, die das konstruiert haben, wissen mussten. Anders kann ich es mir nicht vorstellen, die Auswirkungen dauern doch noch bis heute - so ist es.
In der Untersuchungshaft waren sie 2 Jahre, sie haben nach meiner Information auch im Todestrakt einige Zeit verbracht?
Noch vor der Gerichtsverhandlung wurde mir gesagt: „Packen sie sich ihre Sachen wir setzen sie in eine Todeszelle“ - und ich weiß nicht einmal warum. Die Zelle war speziell gebaut, man kann nichts bewegen, alles ist fixiert. Dort wartet dann der zum Tode verurteilte irgendwo in Untergrund des Gefängnisses auf die Vollziehung der Todesstrafe. Und sie setzten mich hinein. Und ich wusste nicht. Ich wusste es nicht, was sich im Kopf eines normalen Menschen abspielen kann. Falls er nämlich schon ganz daneben ist, ist es etwas anderes. Ich weiß es nicht mehr wie ich diesen Tag durchlebt habe. Wie ich später erfahren hatte, haben sie dasselbe auch mit anderen getan. Sie haben uns damit gezeigt, wie wir enden werden, entweder werden wir mit denen zusammenarbeiten und andere beschuldigen, oder es kann auch so enden. Sie haben es jedem vorgeschlagen, sie haben es mir angeboten, meinen Schwager...und einer hat es angenommen, dieser hat die niedrigste Strafe bekommen. (Anm.: Juraj Lachman, siehe Interview) Ob es aber richtig ist oder ob es Wert ist, die niedrigste Strafe anzunehmen und dann bis zum Ende seines Lebens Gewissensbisse zu haben, das weiß ich nicht. Er hat Menschen, die er nicht einmal gekannt hat, vor Gericht beschuldigt. Es stellt sich die Frage, ob das moralisch ist. Es ist eine Sache der Persönlichkeit, wie wer diesen Druck aushält. Vielleicht falls sie auf mich härteren Druck gemacht hätten und auch gesagt hätten, dass meine Frau nicht mehr leben würde, dass sie meine Tochter ermordet hätten, so wie sie es dem Roman Brazda erzählt haben, vielleicht würde ich auch so zusammenbrechen. Vielleicht wäre ich auch verrückt geworden, wie er.
Das haben sie den Brazda tatsächlich erzählt?
So haben sie es ihm gesagt. Das ist kein Quatsch, das sind Fakten, die ich gelesen habe, die in den Akten stehen.
Was ist dann weiter nach der Untersuchungshaft passiert?
Am obersten Gerichtshof haben wir erwartet, dass es dort eigentlich zum Umbruch kommen müsste, weil das Szenarium tatsächlich absurd war. Das wussten die Anwälte, alle Familien, wir Verhafteten, dass es zum Umbruch kommen muss. Und am Obersten Gerichtshof im Jahre 1983 so denke ich mir bis heute, waren wir alle unter Drogen gesetzt worden oder irgendwie darauf vorbereitet, weil mit mir auf einmal komische Dinge passiert sind. In meiner Psyche sind Prozesse abgelaufen die unter LSD oder ähnlichen Mitteln passieren. Wie wenn ein Mensch LSD einnimmt, wie ich es später im Gefängnis gelesen habe. Ich hatte anderes als die Realität wahrgenommen. Bevor sie mich vom Zentralgefängnis in Bratislava in das Gefängnis Leopoldov brachten - das dauerte ungefähr eine Woche, da war ich völlig daneben und habe angefangen gegenüber den Menschen, die mit mir in der Zelle waren, aggressiv zu sein. Selbstverständlich haben sie die Wachen verständigt und die Gefängniswachen haben mich dann verprügelt.
Wie verprügelt?
Sie haben mich zusammengeschlagen, sehr zusammengeschlagen, angeblich hat, später haben mir es andere aus dem Gefängnis gesagt, dass das ganze Gefängnis gebebt und ich hatte wie ein Tier geschrieen. Kurz gesagt, es war so - das haben mir aber andere gesagt, da ich mich nicht genau erinnern konnte - sie haben mich an irgendein Bett angebunden und von dort in die Krankenstation verlegt.
Wie ist es genau abgelaufen?
Ich hab es lebendig im Kopf, weil ich später angeklagt wurde und in dieser Anklage war es geschrieben, was ich angeblich gemacht habe. Die Tür ist aufgegangen. Ich habe das Gefühl gehabt, dass ein sehr starkes Licht eingedrungen ist, weil diese Zelle so dunkel war. Die Wachmänner haben mich aufgefordert, raus zu kommen. Als ich herauskam, haben sie mich mit Schlagstöcken geschlagen. Als ich auf dem Boden gefallen bin, kann ich mich nichts mehr erinnern. Vielleicht habe ich meinen Kopf an einer Schranke angehaut. Ich habe nur zehn Füße gesehen, die mich getreten haben. Dann habe ich wieder mein Bewusstsein verloren. Dann - wie ich aus den Akten erfahren habe - haben sie mich angeklagt, dass ich sie angegriffen habe. Angeblich habe ich eine Tasse Kaffee auf einen geschmissen, einen soll ich getreten haben und einen eine Rippe gebrochen haben. Dann war in der Anklage noch geschrieben, dass ich den Chef des Dienstes seine Schnüre - der hat solche goldene Schnüre auf seiner Uniform gehabt - die Schnüre zerrissen habe. Sie haben es als Angriff auf öffentliche Personen gewertet. Anhand von so einem Paragraphen gaben sie mir noch weitere fünf Jahre Haft gegeben. Es bedeutet, nicht Sie haben mich geschlagen, sonder ich sie! Und als sie mich fünf Tage später nach Leopoldov verlegt haben, habe sie zu mir gesagt: „Du darfst dich nicht zwischen den anderen Häftlingen aufhalten, weil du einen schwarzen Rücken hast. Das würde die anderen demoralisieren. Du musst unten in deiner Zelle bleiben, bis es dein Rücken wieder geheilt ist.“ Weil ich von Kopf bis Fuß schwarz war von den Schlagstöcken. Es war anfangs rot, nach vier Tagen schwarz und dann, als sie mich wieder zwischen die Häftlinge gelassen haben, war es nur so ein Streifen. Da waren mein Kopf und alles geheilt. Ich weiß aber nicht ob physische Gewalt so schrecklich ist gegenüber den psychischen.
Ist die physische Folter so stark gewesen?
Das gleicht sich wahrscheinlich aus - zumindest bei mäßig intelligenten Menschen. Falls sie einem anderen mit physischer Gewalt drohen, ordnet er sich unter und wird gehorchen. Mich hätten sie nicht schlagen müssen, ich weiß es nicht, warum sie es mir angetan haben. Jemand hat den Befehl gegeben, dass Cerman zusammenschlagen werden soll, weil er mit uns nicht zusammengearbeitet hatte, weil er redet, er kämpft, weil er die Zeuginnen aus Frankreich verlangt. Den muss man zusammenhauen und so nach Leopoldov schicken. Gegebenfalls muss man ihn mittels anderen Häftlingen umbringen lassen. Leider ist auch so was manchmal in Gefängnis passiert.
Verprügelt wurden sie also nach dem Urteil, bevor sie nach Leopoldov eskortiert wurden, worauf können sie sich noch errinern?
An einige Sachen kann ich mich erinnern, dann habe ich mein Bewusstsein verloren, dann war ich kurz wach. Ob es das schlimmste ist, wo der Organismus das Bewusstsein verliert? Vielleicht ist es nicht das schlimmste. Als ich einen Schlag auf dem Kopf gekriegt habe, bin ich wahrscheinlich umgefallen und sie konnten mit mir machen was sie wollten. Dann bin ich am nächsten oder übernächsten Tag aufgewacht – so genau weis ich das nicht - weil die Zeit damals keine Rolle gespielt hatte. Ich war angebunden und sie sind mich immer anschauen gekommen, ob ich lebe und so. Alle Verurteilten haben nämlich Besuche gehabt. Ich hatte keinen Besuch, weil sie meiner Familie gesagt haben, dass ich ein bisschen krank bin. Das ich nicht ganz gesund bin. Meine Familie hat dann erfahren, dass ich verprügelt wurde und wollte wissen, was passiert ist. Mein Anwalt hat meiner Frau gesagt dass er Informationen hat, dass ich es möglicherweise nicht überlebe. Es wurde ihnen so erklärt, dass ich die Wachen angegriffen hatte, dass ich sie geschlagen hätte, nicht sie mich. Nachher haben sie mich ins Gefängnis nach Leopoldov eskortiert, wo ich in der Isolationshaft bleiben musste, weil ich angeblich die Wache angegriffen hatte. Also haben sie mich in eine Zelle im untersten Trakt im Leopoldov gesteckt. Ich bin zwar zusammengeschlagen worden, konnte aber normal spazieren. Mir ging es gut dabei endlich alleine zu sein, ich war aber völlig weg vom Leben. Es hat mich überhaupt nichts mehr interessiert ich war auf den Tod vorbereitet. Wo ich mir gedacht habe, da bin ich, am Ende, am Boden.
Was haben sie überlegt?
Dass ich nicht mehr leben muss. Ich habe an meine Frau gedacht - ob sie in Ordnung ist und so, aber ich war völlig ausgeglichen und akzeptierte den Tod. Und abends hat sich die Tür geöffnet und die Wachen sind hineingekommen, drei oder vier, weiß ich nicht mehr genau, mit zwei Hunden – Deutschen Schäferhunden. Der Häftling muss sich der neben dem Fenster hinstellen, also bin ich dort gestanden, einer ist zu mir gekommen sehr nah, ungefähr 10 Zentimeter nahe, eine unangenehme Nähe, und hat angefangen mich anzuschreien: Was wir für Mörder sind und wie wir noch hängen werden und dass sie es uns hier in Leopoldov noch schlimmer machen werden. Dies hat ungefähr zehn Minuten gedauert. Er hat seine Version, also wer wir sind geschrieen, die er aus den Zeitungen gehabt hatte. Das Gerücht, das um diesen Fall entstanden ist, gab es vorher nie, und ich glaub auch nicht nachher. Es war ein riesiger Mythus. Dann hat er zu Ende gesprochen. Ich habe mir gedacht, o.k., das ist mein Ende. So werden sie mich hier umbringen oder was weiß ich was. Ich war mit mir und der Welt im Reinen, ich sterbe, aber es ist gut. Ich weiß nicht warum, aber ich habe irgendwie zu diesem ungefähr 130 kg schweren Mann angefangen zu sprechen. Ich hatte vielleicht 60 Kilo von dieser bereits zweijährigen Haftzeit. Ich habe ihn monoton und langsam nicht ihre Version sondern die tatsächliche Wahrheit erzählt, wie ich da rein geraten bin. Er hat nichts gesagt, nur zugehört. Sie haben dann die Tür geschlossen. Er hat nur mit dem Finger gezeigt und gesagt: “nur nicht dass sie euch erhängen“ Und seit dem hat mir dieser Wachmann auch bei einigen anderen Dingen ein bisschen geholfen, wo es möglich war. Es war zwar fast unmöglich, weil wir alle unter strengster Aufsicht waren, angefangen mit der Aufsicht von der Seite der Mithäftlinge bis hin zum damaligen Justizminister. Der Justizminister wurde nach unseren Fall zum Generalstaatsanwalt ernannt. Er hat Inspektionen in Leopoldov gemacht und geschaut welche Arbeiten wir haben und ob uns zufällig jemand hilft. Einmal haben die Wachen zwei von uns geholfen einen Besuch zu bekommen und jemand hat sie verraten. Diese 2 Wachmänner wurden gleich zu einem anderen Arbeitsplatz verlegt, wo sie das Gefängnis draußen mit Maschinengewehren bewachen mussten. Dann ist die Situation gegen uns wieder schärfer geworden. Mein Schwager hat die schwersten Arbeiten bei niedrigsten Temperaturen gemacht. Der erste Winter war sehr kalt - minus zwanzig, minus dreißig Grad- sie haben dort die alten Akkumulatoren zerlegt, Säure ausgelassen und Kabel mit Messern und Äxten rausgeholt. Er hat sich ständig beschwert, hat sogar dem Papst geschrieben – wollte den Brief rausschmuggeln lassen. Sie haben den Brief abgefangen und haben ihn in eine Einzelhaft dafür gesteckt. Er hat aber weiter geschrieben...
Sie Sprechen von den anderen, wie war es mit Ihnen?
Ich habe an dem Tag, wo ich nach Leopoldov kam, einen besonderen Schutzengel gehabt, der mir damit geholfen hat dass niemand mir was Böses angetan hatte, das war die größte Hilfe. Dort im Gefängnis hat man mich nur gedemütigt. Sie haben mir zum Beispiel unter meinen Sachen ein Französischwörterbuch untergeschoben. Wahrscheinlich war es ein Mithäftling, und das Französischwörterbuch hat dann angeblich ein Wachmann gefunden. Ich wurde dann beschuldigt, dass ich emigrieren will, dass ich flüchten will, und deshalb Französisch lerne. Also haben sie mich aus der Zelle herausgebracht lassen, und ein 22- jähriger Wachmann, wobei ich selber damals 38 Jahre alt war, hat mich gefragt: „Werden sie eine physische Strafe aushalten oder schreibe ich über sie eine Meldung?“ Und ich hab mir nur vorgestellt, falls er eine Meldung schreibt, habe ich keine Chance aus dem Gefängnis jemals raus zu kommen, also habe ich gesagt, ich halte die Strafe durch, aber wofür? Und er hat gesagt: „Sie bereiten die Flucht vor, da haben sie ein Französischwörterbuch, jemand hat es für sie reingeschmuggelt.“ Ich hab gesagt:“ Das ist nicht die Wahrheit, jemand hat es mir unterschoben, ich wollte das ja gar nicht!“ Also ist er aufgestanden- es war so ein buckliger Wachmann namens Ivan, er hatte wahrscheinlich irgendeinen Komplex und begann mich zu ohrfeigen. Es ging nur um die Entwürdigung, aber diese Erniedrigung auszuhalten war mir lieber als eine Meldung zu kriegen und wieder keine Möglichkeit zu haben, mein Leben dort in Gefängnis besser zu gestalten. Die anderen Häftlinge haben es gewusst, dass er mich zusammengeschlagen hatte und haben mich nachher auch in einem anderen Licht gesehen. Ich habe ein bisschen Ansehen bei meinen Mithäftlingen in Leopoldov gewonnen. Ich hatte damals kein Geld und kein Essen, das alles haben sie uns immer genommen. Ein Häftling, der das ganze Gefängnis unter Kontrolle hatte, hat mich zur sich gerufen und hat mir Essen angeboten. Diese Situation war sehr schwer für mich.
Wie haben sie die Verurteilungen empfunden?
Im Grunde habe ich es ohne große Emotionen akzeptiert. Ich habe mich wie in einem Film gefühlt, als ob ich nicht mehr leben würde, ganz einfach, ich lebte nicht mehr. Ich war irgendwo anders, nur nicht in der Realität. Ich bin damals nicht auf den Boden gefallen, ich war aber in einer anderen Sphäre. Nicht in der Sphäre des normalen Menschen, das ist mir klar, dass es so war. Das Gericht verging in zwei Phasen. Es gab das Landesgericht, wo ich die Erwartung hatte, dass sie es nicht verurteilen können, weil es so viele Absurditäten gibt und auf so vielen Erfindungen aufbaut, dass es der Landesgerichtshof einfach nicht verurteilen kann. Und sie haben uns am Landesgerichtshof verurteilt. Auf dem Obersten Gerichtshof haben wir uns wieder berufen, wo wir wieder begründet haben, dass die Beschuldigungen vollkommen kranke und erfundene Sachen sind. Alle haben wir uns berufen, außer einem der mit ihnen ein Abkommen gemacht hat, damit er weniger Jahre sitzen muss. Ich weiß dass es ein Abkommen zwischen seinen Verteidiger und dem ursprünglichen tschechischen Ermittler war. Er hat ein Tag vor dem Gericht zu ihm gesagt: „reichen sie die Berufung nicht an, sonst kriegen sie einen Mord angehängt und sie kriegen 12 Jahre oder kommen nie wieder aus dem Gefängnis raus.“ Er hat seine Berufung zurückgezogen. Ein Paradox ist, dass gerade der Verteidiger heute der Chef der Anwaltskammer der Slowakei ist. Die Gefühle eines unschuldigen Menschen: „Es ist nicht mehr möglich, dass ich weiter gehe, dass was passiert ist. Wer sind die Menschen die uns verurteilt haben?“ Gerade mir ist ein Satz von einem ehemaligen Ermittler, damals 1978-1979 wo ich noch in der Freiheit war- durch den Kopf gegangen, der gesagt hat: „Wir treffen uns vor Gericht!“
Wer war dieser Ermittler?
Der ursprüngliche Ermittler Obersleutnand Palka und sein Mitarbeiter Rohan aus Prag, wahrscheinlich ein Geheimdienstmitarbeiter, der mich in den Jahren 1978-1979 verhört hatte. Ich verstand es damals nicht. Er hat 1979 zu mir diesen Satz gesagt: „Wir treffen uns vor Gericht und hier in der Slowakei werden noch ganze Familien zittern. Denken sie sich, dass ihnen jemand helfen wird? Egal ob sie unschuldig sind oder schuldig, ich werde diesen Fall abschließen!“ Und später ist es mir bewusst geworden, dass dieser Man noch immer den Finger drüber hält. Wahrscheinlich haben ihm auch die Richter nicht geglaubt. Der Vorsitzende vom Senat hat erschreckend gezittert, wie vor einem Infarkt. Ich glaube nicht, dass die Richter sich damit identifiziert haben. Es wurde speziell für unseren Fall ein außerordentliches Senat eingerichtet, immer mit dem Ausschluss der Öffentlichkeit.
Sie haben gemeint dass sie für die Verurteilung am Obersten Gerichtshof unter Drogen standen, was haben sie da empfunden?
Da erinnere ich mich bei der Verkündung vom Urteil am Obersten Gerichtshof auf den gebrochenen, damals schon psychisch sehr kranken Roman Brazda, auf dem sie es alles abgewälzt haben. Dieser Mann ist von der Bank aufgesprungen und hat wie ein verletztes Tier geschrieen. Das war ein leidvoller Schrei, für uns alle, gegen das System. Er hat geschrieen: „Das Alles ist eine Erfindung!“ Roman Brazda war derjenige gewesen, wo sie von mir ursprünglich wollten, dass ich gegen ihn aussage. Nach dem Schrei haben sie ihn hingesetzt, dann haben sie uns weggeführt und ich bin in die Zelle gekommen. Und damals ist mit mir nach zwei, drei Tagen etwas passiert, dass die ganze Absurdität aufzeigt. Entweder ist meine Psyche so locker geworden oder sie haben mich und einige andere unter Drogen gesetzt. Ich hatte vor dem Verfahren am Obersten Gericht wieder einen Menschen in der Zelle bekommen der ein ausgiebiges Essen bekommen hatte, der verschiedene Pillen bei sich hatte, Diazepan und verschiedene Pillen mit Kreuzchen, die er mir angeboten hatte. Ich habe nie Drogen genommen und es immer abgelehnt vor allem wegen den Erfahrungen von den vorigen Monaten. Mir wurde bewusst, dass ich klar bleiben muss, dass ich wissen muss, was mit mir los ist. Ich bin heute davon überzeugt, dass es diese Art der Manipulation gab, weil ich aus der Zelle ausgeführt wurde und dieser Mitinsasse irgendetwas dort gemacht hat. Ich denke nicht, dass die Psychosen von selbst ausgelöst wurden, sondern bin davon überzeugt, dass Drogen im Spiel waren. Bei den Verhandlungen haben es auch meine Familienangehörige gemerkt dass etwas mit mir nicht stimmt.
Das heißt dass Mithäftlinge eine wichtige Rolle in diesen Fall gespielt haben und die Angeklagten manipuliert haben?
Ja, um uns herum sind nicht nur normale Ermittler gegangen, sondern auch zivile Ermittler, die auf uns aufgepasst haben, ein so genannter Geheimdienst, der mit angesetzten Häftlingen gearbeitet hat. Diese angesetzten Häftlinge, in diesem streng bewachten Fall sind zwischen uns zirkuliert. Also wie ich später von den anderen erfahren habe, war zum Beispiel Einer zwei Monate bei mir, ein Monat bei einem anderen in der Zelle. Damit sie Informationen übertragen, damit sie diesen Fall so verdrehen und damit sie aus diesem „Gulasch“ eine Anklage machen können.
Wie war es als sie 1989 auf Bewährung entlassen wurden, wie war ihr erster Eindruck von der Freiheit?
Bevor ich tatsächlich entlassen wurde, bin ich in den leichtesten Strafvollzug nach Kosice versetzt worden. Damals bin zum ersten Mal vom Gefängnis raus gekommen weil sie mir 3 Tage frei gegeben haben. Es war irgendwann während Weihnachten 1989. Ich kann mich auf den Moment des Verlassens des Gefängnisses nicht mehr erinnern, aber genau damals haben die Menschen in Kosice Kerzen vor der Kirche angezündet aus Solidarität, weil Chauchesko´s Regime gerade an diesen Tagen in Rumänien in die Menschenmengen geschossen hat. Ich weiß nur, dass ich hingegangen bin und Kerzen dort angezündet habe. Ich kann mich aber nicht mehr erinnern, wie ich nach Nitra zu meinen Eltern gekommen bin. Ich weiß es nicht, wahrscheinlich bin ich mit dem Bus hingefahren. Von diesen Weihnachten erinnere ich mich, dass meine schon damals von mir geschiedene Frau zu meinen Eltern gekommen ist und ich habe das erste Mal nach einer sehr langen Zeit meine beiden Töchter gesehen. Nach fünf oder weiß nicht mehr nach wie vielen Jahren schon, weil sie aufgehört haben mich zu besuchen.
Sie haben ihre Kinder nach einer so langen Zeit gesehen, wie ist die Begegnung abgelaufen?
Ja, ich habe Sie zum ersten Mal nach so langer Zeit gesehen und das war mein erster Kontakt mit meinen Kindern. Die Kinder haben keine Ahnung gehabt, wer ich bin. Vielleicht hat es die ältere Tochter gewusst. Sie haben mich trotzdem umarmt. Das war ein sehr schöner Moment, ich musste aber nach Weihnachten noch mal für drei Tage ins Gefängnis. Also bin ich wegen dem letzen Gerichtstermin zurückgekehrt, wo die Entlassung auf Bewährung verhandelt wurde. Und dies passierte genau am 30. Dezember, genau am Tag wo Havel zum Präsidenten gewählt wurde. Und dann war ich in der Freiheit. Ich bin wieder von Kosice nach Bratislava gegangen, aber ich würde nicht sagen, dass ich mich frei füllte. Ich habe nicht gerade ein Gefühl der Freiheit gehabt, zwar konnte dann überall hingehen, ich hatte aber Angst. Ich hatte gleichzeitig Angst, dass jemand Irgendetwas auf mich ausdenkt, damit sie mich wieder einsperren. Das war mein subjektives Gefühl. Also bin ich wo es nur ginge nur zusammen mit meinem Neffen oder meiner Cousine gegangen, die ungefähr 13 oder 15 Jahre alt waren. Ich bin nach Bratislava in eine Organisation gegangen, es hieß VPN (Öffentlichkeit gegen Gewalt) ähnlich wie das Bürgerforum in der Tschechei oder Solidarnost in Polen. Ich bin in die Zentrale gegangen und habe jedem der dort war, darüber erzählt. Es gab damals den Vorsitzenden Langos, später eine Persönlichkeit der politischen Szene, ich habe es jedem in der VPN erzählt. Jeder hat nur mit dem Kopf geschüttelt. Es gab in der VPN Journalisten aus Frankreich, die es mitgehört haben und nachgefragt haben. Sie haben mich nach Nitra gefahren und wir haben dort mit den anderen in diesen Fall Verwickelten, die schon frei waren, und mit den Eltern eine Reportage gedreht. Das heißt, dass ich von meinem ersten Schritt in der Freiheit diese Geschichte weiter verfolgt habe. Ich habe mit Journalisten zusammen Zeugen besucht. Das heißt, ich habe von Beginn an angefangen zu kämpfen, weil noch drei Unschuldige im Gefängnis saßen und endlich etwas passieren musste.
Sie meinen, sie haben sich nicht frei gefüllt?
Dies heißt, ich hatte kein Freiheitsgefühl, eigentlich bin unfrei geblieben. Ich konnte mich zwar in einem größeren Raum bewegen, ich konnte in die ganze Welt gehen bin aber unfrei geblieben, weil diese Urteilsverkündungen, die gegen mich und die anderen gemacht wurden, darüber ausgesagt haben, dass ich der Täter bin. Und diese Gerichtsurteile besagen es bis heute und immer wieder. Die ganze Absurdität ist wieder zurückgekommen, als ob sich Nichts in der Justiz geändert hätte. Das ist schrecklich, man kann es einfach nicht akzeptieren, dass ein Mensch so bis zur seiner Pension weiterlebt.
Sie haben gesagt, dass es 1989 noch 3 Menschen im Gefängnis saßen?
Als die Journalisten schon 1989 diesen Fall aufgegriffen hatten, wurde eine Beschwerde gegen das Gerichtsurteil vom 1983 eingereicht. Der mit diesem Fall betraute Generalstaatsanwalt hatte diese Beschwerde ignoriert und erst als ein neuer Generalstaatsanwalt mit diesem Fall betraut wurde, hat er diese Beschwerde weitergereicht. Sie haben es dort gelesen und haben gesehen, dass es eine Absurdität ist. Der Föderale Oberste Gerichtshof im Jahre 1990 hat alle Urteile annulliert und hat eine Neuverhandlung am Landesgerichtshof angeordnet. In dieser Anordnung sind 72 schwere Fehler angeführt, die die vorigen Gerichte in der sozialistischen Justiz gemacht haben. Was völlig klare Sachen sind, für jeden normalen Menschen. Also hat es das Landesgerichthof bekommen, der aber erst nach unserer Intervention in Straßburg nach 14 Jahren tätig wurde und der wieder dasselbe Urteil von 1983 bestätigt hatte. Als ob in diesen 14 Jahren nichts passiert wäre, als ob sie es bestätigen müssten, war ihre Vorgänger entschieden haben!
Wieso meinen sie dass sie es tun mussten?
Weil es keine andere Erklärung dafür eigentlich nicht gibt. Wir haben auch raus gefunden, wie die Kontakte und Verbindungen zwischen dem neuen und alten Senat bestehen. Im Jahre 2004 haben sie mich wieder verurteilt, ich habe von diesem Gericht wieder 12 Jahre gekriegt und die anderen mal ein bisschen mehr mal weniger als ursprünglich bekommen. Und jetzt vor einer Woche, am 4. Dezember, hat das Oberste Gericht dieses Urteil bestätigt. Ich bin schon wieder rechtmäßig verurteilt, und sie haben mir 11 Jahre diesmal gegeben. Ich bin nach der Entscheidung des Gerichtes einer der Täter. Ich sollte morden, vergewaltigen und was weiß ich was noch. Also ist die Situation genau dieselbe, wie im Jahre 1982. Sie haben gar keine neuen relevanten Beweise zugelassen. Nicht die gesetzwidrigen Verhöre oder zum Beispiel die Französinnen, meine Zeuginnen die 25 Jahre später beim Gericht bezeugt haben, dass sie während der angeblichen Tatzeit mit mir zusammen waren.
Sie meinen, dass es eine riesige Enttäuschung war?
Schon nach dem Urteil vom Landesgerichtshof im Jahr 2004 waren wir alle entsetzt. Die Journalisten, die sich zehn Jahre mit dieser Geschichte beschäftigen, die Verteidiger, wir selber und unsere Familien. Es war eine schreckliche Endtäuschung, vor allem hatte das Gericht alle rechtlichen Befugnisse und Beweise, das Urteil zu revidieren zur Verfügung. Man macht so etwas in einem normalen demokratischen Land einfach nicht. Es war für uns unmöglich. Das hat niemand erwartet. Es ist so, als ob sie Ihnen ein zweites Mal den Kopf abhacken und diesmal noch mit dem Untertitel: „für den demokratischen Staat“ Das ist nicht zu akzeptieren.
Sie haben nie Hoffnung verloren?
Es gab keinen einzigen Tag im Gefängnis, wo ich nicht daran geglaubt hätte, dass eines Tages die Wahrheit ans Licht kommen wird. Also habe ich ständig Beschwerden eingereicht und Anträge für die Wiederaufnahme des Verfahrens. Meine Familie hat mich da sehr unterstützt. Sie haben auch viele Beschwerden und Erklärungen für meine Entlastung verschickt - sie waren eine sehr große Unterstützung für mich. Mir war klar, dass für sie draußen die Umgebung noch ein schlimmeres Gefängnis bereitete, weil sie meine Familie waren. Alle Menschen, Freunde und Verwandte waren der Familie behilflich, zumindest denke ich es mir so. Im Gefängnis war dies für mich eine sehr starke Stütze, ich habe auch meiner Exfrau damals gesagt: „Packt eure Sachen, geht’s weg von dieser Republik, irgendwie fliehen, lebt ein Leben, ihr müsst ein Leben zu leben, weil ich nicht weiß, ob ich’s hier überhaupt noch länger aushalte oder ob sie mich nicht umbringen lassen.“ Als sich meine Frau damals scheiden ließ, war es für mich schwer, aber ein Mithäftling hat mir Yoga turnen empfohlen und so.
Er hat mir einige Übungen gezeigt, und ich bin nicht zerbrochen. Meine Eltern und meine Schwestern standen mir bei und wussten dass es ein Schwachsinn ist.
Ihre Frau hat sich scheiden lassen?
Meine Exfrau ist die eine direkte Zeugin meiner Unschuld, weil sie in der angeblichen Tatzeit mit mir war. Sie musste diese Absurdität akzeptieren, und sie konnten sie damals jederzeit mitnehmen und der Falschaussage beschuldigen. Sie hat nämlich als meine Ehefrau nicht den Paragraphen genutzt, dass sie als Familienangehörige nicht aussagen muss. Sie ist zum Gericht gekommen und hat die Wahrheit gesagt. Sie haben sie zwar nicht eingesperrt, sie hätten es aber jederzeit tun können und haben es ihr auch deutlich gemacht. Also alle Ehre, dass die Familie und Verwandte zu uns gehalten haben und für uns gekämpft haben. So war es bei mir und ich denke bei anderen ebenfalls. Es ist damals teilweise so umgekippt und wir gegenseitig den Einen oder den Anderen verdächtigt haben. Es war aber während der Haft, wo man noch nichts wusste. Erst nach dem die Akten offen gelegt wurden, haben alle feststellen können, dass es sich so auf gar keinen Fall zugetragen haben konnte. Ich habe wirklich teilweise manchmal geglaubt dass tatsächlich irgendeiner von uns mit der Sache zu tun hatte. Die anderen haben sich dasselbe von mir gedacht. Wir waren füreinander teilweise fremde Personen. Fremde.
Man fragt sich nur, warum sie so viele Menschen für diese Tat einsperrten und verurteilten?
Das war das psychologisches System, dass es sicher möglich ist, wenn sie zehn Leute einsperren, mit Druckmitteln und Befugnissen, diesen Fall mit einer großen Publizität abzuschließen und abzuhacken. Man kann Ähnlichkeiten zu den Schauprozessen der 50er Jahre erkennen. Und dieser Mythus existiert in der slowakischen Gesellschaft bis heute und wird für immer dort bleiben. Es ist schwer, es von den Menschen rauszulöschen, weil sie jetzt nicht mehr glauben. Es ist schwer.
Wie gestaltet sich das Leben jetzt nach der Wiederverurteilung?
Ich kann doch nicht mehr in einer normalen Gesellschaft leben. Ich muss überall erklären, wie es wirklich war, meiner Umgebung immer was zum studieren geben. Die Menschen haben kein Interesse. Jeder hat seine Probleme. Sie haben es so in den Köpfen der slowakischen Gesellschaft eingepflanzt. Warum sollten sich die Leute mit unangenehmen Dingen beschäftigen? Man lebt in einem „Gedächtnis-Gefängnis“ von 5 Millionen Menschen. Es ist die gesamte Slowakei, weil sie mir schon wieder ein Urteil mit einem Stempel gaben, dass ich einer von denen bin.
Welche Schritte folgen jetzt dem Urteil am Obersten Gerichtshof?
Es ist klar, dass es weitere juristische Schritte geben wird. Es folgt eine Berufung, dann Verfassungsgerichtshof, dann folgt Straßburg. Es haben uns mittlerweile auch einige Politiker deutlich gesagt, dass wir in der Slowakei keinen Durchbruch schaffen werden. Sie meinten nur schnell in der Slowakei abschließen und weg damit von der Republik.
Es ist erst dann möglich, wenn Straßburg etwas verordnet und die Anwälte es gewinnen und schließlich „erleiden wir den Sieg“.
Was meinen Sie mit „Erleiden den Sieg“?
Wissen sie was ein „Erleiden vom Sieg“ ist? Sie sagen: „Zwar sind wir uns nicht ganz sicher, aber na gut, ihr habt Recht und der Staat wird auch was dazu sagen.“ Es passiert aber in zehn Jahren und nur vielleicht. Irgendwann, nach meinem Tod, werden sie sich vielleicht bei meinen Töchtern entschuldigen. Oder irgendwelche Klons von denen!
Ich lasse es nicht zu, dass Sie mir meine Familie das zweite Mal nehmen, ich war schon einmal unsinnig verurteilt, war 8,5 Jahre im Gefängnis und das hat gereicht. Das zweite Mal wieder ein unsinniges Urteil und ich sollte nochmals ins Gefängnis für ein paar Jahre. Diese Absurdität ist nicht mehr zu überstehen, es ist für einen Menschen einfach zu viel.
Mittwoch, 16. Januar 2008
Causa "Cervanova" INTERVIEWS: Juraj Lachman
Warum haben sie gegen die Anderen und sich in den Jahren 1981-1983 falsch ausgesagt? Warum haben sie bezeugt dass diese Männer aus Nitra Mörder sind?
Im Prinzip war es so, dass sie mich genommen haben und ich von Nichts gewusst hab. Ich hatte quasi eine andere Straftat in dieser Zeit am Hals, sozusagen katholischen Charakters. Die Geheimpolizei (STB) hat mir gedroht, dass ich eine Straftat gegen die Gesetze der sozialistischen Republik begehe. Und als die Ermittler von der Polizei kamen, haben sie mir Aufnahmen von den Mitbeschuldigten vorgespielt. In den Fragmenten von diesen Audio-Aufnahmen haben sie mir einen Beweis präsentiert, dass ich zusammen mit den Anderen damals auf irgendeiner Party war.
Wie ist es dazu gekommen?
Am Anfang waren es harmlose Fragen, weil ich in der Zeit öfters in Bratislava war und in Bratislava sein konnte. Danach habe ich gestanden, dass ich möglicherweise zu dieser Zeit in Bratislava war, weil nichts darauf hingewiesen hatte, dass ich mich in so einen schweren Fall verwickle. Und dann nacheinender ist noch anderes dazu gekommen, ob ich an diesem bestimmten Tag dort war - ich habe gefragt: „Wie soll ich es nach so vielen Jahren wissen, ob ich an dem Tag dort war?“ sie haben weitergemacht: „…Wenn du es nicht weißt, könntest du doch an diesem Tag vielleicht doch dort gewesen sein.“ Also habe ich gestanden, dass ich möglicherweise dort war, und so hat es sich gesteigert. Zum Schluss haben sie mir die erwähnten Audio-Aufnahmen von Zeugenaussagen der Kronzeugin vorgespielt, die angeblich belegten, dass ich in dieser Gesellschaft und bei diesen Geschehnissen dabei war. Also bin ich dadurch in diese Sache verwickelt worden und es war sehr schwierig da wieder raus zu kommen. Und wie ich schon vorher gesagt habe hatte ich außer diesen Verhören noch andere Verhöre gehabt, die zu anderen Zeitpunkten und durch die Staatsicherheit (Geheimdienst) geführt wurden.
Sie haben am Anfang nie die „Eine Sache“ mit der „Anderen“ in den Zusammenhang gebracht. Die Geheimpolizisten haben mich der „Gefährdung der Republik“ beschuldigt, weil ich mich angeblich in Prag mit einer katholischen polnischen Gruppierung treffen sollte, in den Kneipen „U Fleku“ und „U Pinkasu“, wo ich Material von einigen Menschen angeblich übernommen habe und nach Nitra gebracht habe. In Nitra sollte ich angeblich die Distribution gewährleisten sollte. Es war in dieser Zeit eine sehr gravierende Straftat, weil es als Staatsverrat angesehen wurde, was eine höhere Strafe bedeutete, als dieser Fall. Für Staatsverrat würde ich 10-15 Jahre im schlimmsten Gefängnissen kriegen. Sie hatten Beweise, weil sie im Keller des Hauses meiner Eltern Cyklostylalkohol gefunden haben, was Ähnliches wie eine Laserkopierflüssigkeit. Man könnte Material damit vervielfältigen. Ich hatte eine eigene Wohnung aber sie haben eine Hausdurchsuchung bei meinen Eltern gemacht, weil dieses Gerät dort war. Also vielleicht hätte ich sogar meine Eltern mit hineingezogen.
Es heißt dass sie von der Polizei zum Fall „Cervanova“ und gleichzeitig vom Geheimdienst zum Staatsverrat verhört wurden?
Ich kann nicht beweisen, dass sie mich schließlich erpresst haben, weil es in den damaligen und in den jetzigen Akten nicht erwähnt ist. Die Verhöre waren von anderen Menschen getätigt. Somit bin ich in diese Situation geraten. Man muss aber sagen, vor dem Gerichtsurteil 1983 am Obersten Gerichtshof, wo man Todesstrafen verlangte, habe ich deutlich vor dem Senat ausgesagt, dass ich nie Jemanden vergewaltigen und morden gesehen habe.
Sie wurden dann aber wegen dem Fall Cervanova verhaftet?
Aufgrund der Tatsache, dass ich auch wegen Staatsverrat angeklagt werden könnte haben sie mich unter enormen Druck gesetzt. Als ich aber während der Untersuchungshaft von ihrem Szenar abgekommen bin, haben sie mich in eine einer Sonderabteilung gesteckt, wo gegenüber die Todeszellen waren. Einen gewissen Rigo, ein dreifacher Mörder, haben sie in meine Zelle gesteckt. Ich wusste dass er zum Tode verurteilt worden war. Ich habe ihn vorher gesehen, weil das Fenster an der Zelle abgekratzt war, also habe ich gewusst, dass er eine besondere Freiheitsstrafe zu verbüßt hat. Zufällig hat ihn mein Verteidiger auch verteidigt. Am nächsten Tag habe ich meinem Verteidiger gesagt, dass ich mit ihm in einer Zelle stecke, mit Einem der zum Tode verurteilt ist und dieser eigentlich alleine in der Zelle sitzen müsste. Sie haben ihn aber erst zwei Tage später verlegt. Ich bin bis heute davon überzeugt, dass mich dieser Mensch umbringen sollte.
Was ist dann passiert, als sie einen zum Tode verurteilten Häftling namens Rigo in die Zelle bekommen haben?
Ich bin wieder zu ihrem alten Szenar zurückgekehrt, weil ich Angst um mein Leben hatte und wegen der Sachen die mir dort passiert sind. Es war ein immenser Druck.
In den Akten steht dass ich ungefähr 100 Verhöre hatte, ich hatte aber 700! Ich hatte Verhöre an Samstagen wie auch an Sonntagen. Innerhalb von 2 Jahren Untersuchungshaft waren es 700 Verhöre, das ist ja wohl genug! Sie haben den Menschen immer in eine Position gebracht wo er psychisch zusammengebrochen ist. Eigentlich habe ich dann am Ende nur mehr das gemacht was sie wollten. Noch vor der eigentlichen Verhandlung sind die Ermittler nochmals gekommen, und haben mir ein Ultimatum gestellt. Entweder werden sie mich nach dem Paragraph 1 - Staatsverrat verurteilen, was bedeuten würde, dass ich in das schlimmste Gefängnis nach Ilava in den Untergrund komme, oder vier Jahre angenehmeres Gefängnis.
Sie haben die Version der Ermittler schließlich bestätigt, was ist dann passiert?
Sie haben ihr Wort gehalten, sie haben mir genau vier Jahre gegeben. Also habe ich noch vor dem Urteil gewusst, dass ich 4 Jahre kriege. Also war das alles von meiner Seite her inszeniert, und ich konnte nicht mehr heraus. Mein damaliger Verteidiger Dr. Detvaj, der heute der Vorsitzende der Anwaltskammer ist, sagte zu mir, dass mein größtes Problem darin liege, dass ich keine Ahnung habe, was die Anderen bei der Verhandlung sagen, weil sie uns in die Verhandlungen einzeln rein gebracht haben. Mein Verteidiger hat mir gesagt, dass falls ich meine Aussage verändere, dann wird mir schon überhaupt niemand mehr glauben, und sie werden mich dann auf jeden Fall verurteilen. Er behauptet heute was anderes, aber im Endeffekt war es damals wirklich so
Ihr Verteidiger Herr Dr. Detvaj hat ihnen so was gesagt?
Ja, in der Zelle. Mit dem Verteidiger konnte man sich damals immer erst nach den Verhören treffen. Wir haben uns dann Zettel geschrieben, da die Zelle abgehört wurde, so einen dünnen Zettel, den man dann verbrannt und vernichtet hatte. Unsere Gespräche waren keine wirklichen Gespräche, wir haben uns etwa über die Familien unterhalten, wobei wir uns geschrieben haben. Er hat mich darauf hingewiesen was passieren könnte und was nicht. Die Strategie der Verteidigung konnten wir überhaupt nicht zusammenstellen. Nur aus der Todesangst heraus und in der Hoffnung die Zukunft zu retten war diese eine Wahl. Heute kommt es mir so vor, als ob ich mich nicht solide verhalten habe, nicht korrekt, man kann das nicht aus diesem Blickwinkel sehen. Man müsste es erlebt haben!
Sie meinen der Druck in der Haft durch die Verhöre war nicht auszuhalten?
Eigentlich jeden Tag den jeden Augenblick dort. In der Zeit der drei Tage mit dem zum Tode verurteilten Rigo, da hatte ich Angst gehabt in der Nacht zu schlafen. Als ich dann einmal eingeschlafen bin, habe ich mich erschreckt: „Oh Gott, du schläft doch!“ Es war so erschöpfend und anstrengend, weil sie ihn am Freitag zu mir gegeben haben und erst am Montag ist der Dr. Detvaj, mein Verteidiger gekommen, der heute der Vorsitzende der Anwaltskammer ist. Man kann es heute beweisen, weil Rigo sein Klient war. Wie ist es möglich, dass ein zum Tode Verurteilter, der nicht aus der Zelle rauskommen darf, der spezielle Auflagen hatte, welcher der wichtigste Gefangene war, der eine doppelte Tür vor sich hatte, spezielle Gitter. Es ist Paradox, dass sie mir gerade in meine Zelle gegeben haben. Er hatte ein, aus einem zerrissenen Leintuch, zusammengeknotetes Seil dabei. Wahrscheinlich wollte er die Todesstrafe selber durchziehen, sich mithilfe des Seils selbst erhängen. Nach dem er von mir verlegt wurde hat er keine Todesstrafe, sondern 25 Jahre bekommen, weil es Lebenslänglich bei uns damals nicht gab. Es gab nur die Todesstrafe oder die Höchststrafe zu 25 Jahre. Ich weiß nicht was mit ihm weiter passiert ist, ob er raus gekommen ist, oder ob er noch lebt. Aber er hat sich dadurch die 25 Jahre Strafe ausgedient!
Wie war es als sie aus dem Gefängnis entlassen wurden?
Eigentlich ist das Problem so entstanden, dass ich als Erster entlassen wurde. Ich bin an diesen Punkt geraten, weil Nitra keine richtige Stadt sondern wie ein großes Dorf ist. Viele Menschen haben mich schief angeschaut, behauptet, dass ich mich verkauft habe und dadurch andere ins Unglück gestürzt habe. Die Wahrheit war ganz anders, aber beweisen konnte ich es nicht, weil ich über diese Sache nichts sagen durfte. Die Gerichte haben mir von den 4 Jahren sieben Monate erlassen, und haben mir 5 Jahre auf Bewährung gegeben.
Wie gestaltete sich dann ihr Leben in der Freiheit?
Sie sind normalerweise immer in mein Haus gegangen, sie haben sich die Tür mit Schlüssel geöffnet. Ich habe eine Einzimmer-Wohnung in Chrenova (Anm.: Plattenbausiedlung in Nitra) bekommen, und während ich in der Arbeit war, weil in dieser Zeit jeder arbeiten musste, sind sie bei mir daheim gesessen. Sie haben mich ständig so unter Druck gesetzt, dass ich keine andere Möglichkeit in der Stadt hatte, als aufzuzeigen, dass wir schuldig sind. Es hat denen nicht gereicht, und am Ende haben sie meiner Tochter den Nachnamen geändert, auf demselben Gericht, bei dem ich verurteilt wurde. Es waren große Spannungen. Man muss die ganze Angelegenheit in einem breiteren Kontext sehen, man kann es nicht in einem zehnminütigen Gespräch erklären.
Es bedeutet, dass sie noch in der Freiheit weiter auf der Version der Gerichte behaaren mussten, weil sie ständig bespitzelt wurden?
Ja, ich war nur die drei Jahre drei Monate und drei Tage eingesperrt, aber nachher ist es weiter gegangen – draußen - ich konnte mich auch in der Freiheit nirgendwo bewegen. Aber in meinem Inneren hab ich mich sehr schlecht gefühlt, besonders als ich die Eltern der Anderen getroffen habe. Es hat mir Leid getan, dass die anderen in den schweren Gefängnissen sitzen, unvorstellbar schlimm, unmenschlich. Ich weis es zwar nicht, wie die Haftstrafen anderswo sind, aber die Bedingungen sind sehr erschwert. Ich war dann schon draußen und es war psychisch sehr anstrengend. Ich hatte Gewissensbisse. Im meinem Inneren habe ich gelitten, das ist wahr.
Sie haben erwähnt dass sie in der Zeit ihrer Verhaftung im Jahre 1981 auch wegen Staatsverrat und Verbreitung verbotener Literatur vom Geheimdienst verhört wurden?
Ja, ich habe nämlich katholische Literatur verbreitet, die in diesen Staat wirklich verboten war. Sie hatten mich ständig im Auge und sie haben mich ständig erpresst. Falls es aber diese Audio Aufnahmen zum Fall Cervanova nicht gäbe - ich weiß nicht, ob sie falsch waren oder echt - würde ich nie etwas aussagen. Ich würde nie von alleine jemanden nur so liquidieren wollen. Sie haben mich eigentlich in diesen Fall durch andere Sachen hineingedrängt.
Falls ich nämlich nicht im Fall Cervanova mit denen zusammenarbeiten würde, hatten sie eine schlimmere Sache vorbereitet gehabt. Es war eigentlich alles ein Deal, dies habe ich auch jetzt am Obersten Gerichtshof gesagt. Mit einem Menschen, der damals ein Staatsanwalt (Anm.: Valasik) war - dass es alles ein Abkommen war. Es war sehr kompliziert. In so einem kurzen Umfang kann man es nicht sagen wie.
Causa "Cervanova" INTERVIEWS: Milos Kocur
Am 22. 9. 1982 wurde er vom Obersten Gerichtshof zur 24 Jahren Haft verurteilt.
Er wurde zusammen mit den Anderen durch die Aufhebung des Urteils im Jahre 1990 aus dem Gefängnis entlassen und kämpfte weiter in der Freiheit für ein gerechtes Gerichtsverfahren.
Am 4.12.2006 wurde er vom Obersten Gerichtshof der Slowakei zur 15 Jahren Haft wiederverurteilt. Das Interview hat am 17.12.2006 stattgefunden.
Er wurde anschließend ein Tag nach unserem Interview am 18. 12. 2006 von der Polizei verhaftet und befindet sich seit dem im Gefängnis.
Warum haben sie gegen sich und die anderen ausgesagt? Warum haben sie nach 3 Tagen Verhöre ein Geständnis abgelegt?
Ich muss damit anfangen, dass ich überhaupt nichts davon wusste, dass so eine Sache auf uns zukommen wird. Die Polizei und niemand anderer hat mir davon gesagt, dass sich so etwas entwickelt. Ich hatte am 14.Juni Promotionen gehabt, dass ist das Photo von der Promotion. Ich hatte vorher ziemlich viel Arbeit gehabt, sie wissen ja, ich musste viel lernen, sehr viel Stress und dann gab es Promotion, was ein großes Ereignis ist.Es war ein ziemlicher Erfolg in meinem Leben in dieser Zeit, wo ich meine ganzen Kräfte dafür eingesetzt habe. Es gab selbstverständlich nachher eine Feier. Am nächsten Tag um halb fünf haben sie mich mitgenommen.
Die Polizei hat sie also um 5 Uhr in der Früh nach der Promotionfeier abgeholt?
Ja, sie haben mich völlig unvorbereitet und schockiert erwischt, weil ich nicht wusste wofür. Ich weiß bis heute nicht, wohin sie mich genommen haben. Den ganzen Tag bis am späten Abend haben sie mich verhört. Sie haben mich psychisch und physisch terrorisiert, sie haben mich an den Ohren gezogen, haben meinen Kopf gegen die Wand geschlagen. Da habe ich die ganze Zeit bestritten, dass ich mit der Sache etwas zu tun habe. Dann haben sie mich schlafen gelassen. Am nächsten Tag haben sie mich nach Bratislava überführt. Dort haben mich acht bis zehn Polizisten bearbeitet. Sie haben sich abgewechselt. Da ich aber die ganze Zeit alles bestritten habe, haben sie mir eigentlich die ganze Geschichte - was wir angeblich getan haben - angesagt. Sie haben mir eine Anleitung gegeben. Es war kein Verteidiger anwesend, keinen einzigen Tag von den ersten 4- 5 Tagen, wo ich schon drinnen war. Ich war schon sehr müde und am späteren Nachmittag, wo ich nur mehr Ruhe haben wollte - wahrscheinlich war es ein Kurzschuss - habe ich denen Alles was sie von mir wollten erzählt. Ich wollte Ruhe haben.
Wie ist es dazu gekommen?
Ich habe doch nicht gewusst, dass es so endet. Sie wollten es so hören, also habe ich ihnen diese Blödheiten erzählt. Man muss aber davon sagen, dass dieses Geständnis nicht mit der jetzigen (und vorigen)Version der tatsächlichen Anklage übereinstimmt. Ich musste andere Insassen von Auto, anderen Tatplatz, andere Diskothek nennen. Eigentlich war es nur ein blödes Geständnis, irgendein Geständnis, dass sie aus mir rausgeschlagen haben mittels psychischer und physischer Folter!
Mittwoch, 2. Januar 2008
Das Popper Prinzip, Artikel "Tyzden Nr.47"
Laut Sir Karl Popper glauben wir an die wissenschaftlichen Theorien nicht deswegen, weil man sie nicht widerlegen kann, sondern gerade deswegen, weil man sie zumindest im Prinzip widerlegen könnte. Das, was man zumindest im Prinzip nicht widerlegen kann, ist laut Popper keine Theorie sondern ein Dogma.
Originallink: http://www.tyzden.sk/sk/spolocnost/popperov_princip.php
Poppers Prinzip ist nicht nur in der Wissenschaft gültig. Überall dort, wo uns die konkrete Wahrheit interessiert, sollten wir bereit sein, unsere Überzeugungen zu verlassen, falls diese ersichtlich anfangen den Fakten zu widersprechen.
Deshalb, obwohl wir aufgrund von vielen materiellen Beweisen von der Unschuld der sieben Männern aus Nitra in der Causa Cervanova überzeugt sein könnten, sollten wir gerade die Fakten nicht ignorieren, die das Gegenteil bestätigen. Gerade diese Fakten haben nämlich das Potenzial, unsere Überzeugungen zu widerlegen und gerade deshalb sollten wir diese gründlich untersuchen.
Zu Ungunsten der sieben Männer aus Nitra sprechen vor allem die Zeugenaussagen und Geständnisse. Es ist zwar wahr, dass der
Großteil der Aussagen von den betroffenen Personen widerrufen wurde, diese Tatsache muss für uns nicht ausschlaggebend sein. Falls nämlich jemand etwas gesteht und bezeugt und später behauptet, dass er dazu mittels intensivem psychischen und manchmal physischen Druck gezwungen wurde, dann können aber müssen wir es nicht glauben.
In der Frage der Nötigung und Druckausübung haben wir im Grunde genommen drei folgende Möglichkeiten:
- Die Zeugenaussagen und Geständnisse wurden ohne Nötigung, Druck oder Gewalt getätigt und die Behauptungen darüber sind Zweckslügen.
- Die Zeugenaussagen und Geständnisse wurden durch einen bestimmten Druck getätigt, entsprechen aber der Wahrheit.
- Die Zeugenaussagen und Geständnisse wurden durch Gewalt getätigt und entsprechen somit nicht der Wahrheit.
Falls eine dieser Hypothesen für uns als Dogma gilt, müssen wir nichts mehr dazu sagen. Falls es sich um keine Dogmen handelt, müsste zumindest eine theoretische Möglichkeit der Widerlegung existieren. Wir schauen uns deshalb jetzt die Fakten an, die das Potenzial haben, diese Hypothesen zu widerlegen.
- Die erste Hypothese
Die erste Möglichkeit könnten die Zeugen widerlegen, die gegen die Angeklagten ausgesagt haben und die ihre Zeugenaussagen in den Hauptpunkten nie widerrufen haben. Falls diese ebenfalls bestätigen würden, dass auf sie Druck ausgeübt wurde, hätte diese Tatsache die erste Hypothese wesentlich erschüttert. Solche Menschen haben nämlich nicht den geringsten Grund zu behaupten, dass sie zu den Zeugenaussagen gedrängt wurden. Existieren aber solche Zeugen?
Ludmila Cervanova wurde am Abend den 9.7.1976 auf dem Weg von der Diskothek in Mlynska Dolina entführt. Die Anwesenheit der sieben Männer aus Nitra in dieser Diskothek haben bei dem Ermittlungsverfahren (Vorbereitungsverfahren) im Jahr 1981 hauptsächlich die Zeugin Viera Zimakova- Vozarova, der Zeuge Vladimir Varga und die Zeugen Jozef Skrobanek und Igor Urbanek bestätigt. Beim Gerichtsverfahren im Jahr 1982 hat Viera Zimakova-Vozarova ihre Zeugenaussage im vollen Umfang widerrufen, Vladimir Varga ist in die Schweiz emigriert, von wo er sofort einen Brief an das Gericht geschrieben hatte, in dem er alle seine Aussagen als erpresste Lügen bezeichnet hatte. Die zwei übrigen Zeugen haben aber vor dem Gericht 1982 weiter behauptet, alle Angeklagten in der Diskothek gesehen zu haben.
Beim Gerichtsverfahren im Jahr 2003 hat der Zeuge Jozef Skrobanek aber bereits behauptet, dass er in der Diskothek nur Andrasik, Dubravicky, Bedac und Kocur gesehen hatte. Über die drei übrigen Männer aus Nitra hat er ausgesagt, dass ihm die Ermittler vor dem Jahr 1982 einfach Photos untergeschoben hatten: „So sind in diese Gruppe auch Lachman, den ich nie zuvor im Leben gesehen hatte, Cerman, den ich nicht kannte und Brazda, den ich auch nie im Leben gesehen habe, hineingekommen. Bis ich mir die Namen nicht aneignete – die ins Protokoll gelangen sollten, haben sie mir diese Namen ständig untergeschoben. Bis ich diese Namen nicht hineinbekommen habe, haben sie mir das Vernehmungsprotokoll nicht unterschreiben lassen.“
Die Hypothese über ein sauberes Vorgehen der Ermittler und der Staatsanwaltschaft können wir wohl aufgeben.
- Die zweite Hypothese
Da wäre also die zweite Hypothese, nämlich dass die Ermittler die Zeugen und Angeklagten nicht mit Wattehandschuhen angegriffen haben, was aber nichts ausmachen würde, wenn die Angeklagten tatsächlich die wirklichen Täter wären. In diesem Fall ist wesentlich, dass der Zeuge Skrobanek geholfen hat, die Täter zu überführen und nicht, dass ihn die Ermittler bedroht haben, ihn solange Arschloch geschimpft haben, bis er, so wie es erwartet wurde, antwortete, oder dass er bei dem Verhör eine Ohrfeige bekommen hat (alles laut seiner Aussage im Jahr 2003). Für viele Anhänger der zweiten Hypothese sind es zwar bedauernswerte aber keine ausschlaggebende Umstände/Details.
Was könnte diese Ansicht widerlegen? Vielleicht ein Zeuge, der überzeugend beweisen würde, dass der Zeuge Skovranek im Jahre 1982 gelogen hatte (oder zumindest sich geirrt hatte) und dass nicht nur im Falle von Lachman, Cerman, Brazda, sondern auch im Falle der restlichen Verurteilten. Existieren aber überhaupt solche Zeugen?
Solche Zeugen gibt es ungefähr an die hundert und dazu zählt auch der Zeuge Skovranek selbst. Dieser hat nämlich nicht nur in den Jahren 1982 oder 2003 zum Fall Cervanova ausgesagt, sondern auch nur ein paar Tage nach der Tat im Jahre 1976. Seine Zeugenaussage vom 20.7.1976 hat knapp zehn Zeilen und erwähnt keinen von den Männern aus Nitra. Zu Ludmila Cervanova hat er bei der Vernehmung explizit angegeben, dass er sie in der Diskothek nicht gesehen hatte. Das heißt, dass der Zeuge Skovranek bei den massiven polizeilichen Ermittlungen im Jahre 1976 keinen von den Menschen erwähnte, die er dann souverän im Jahre 1981 überführte. Und nicht nur Herr Skovranek, sondern keiner von den weiteren hundert Anwesenden der Diskothek hatte im Jahre 1976 die sieben Männer aus Nitra als anwesend identifiziert. Keiner, nicht einmal ein einziger Mensch.
Was bezeugt dann die Aussage von Herrn Skovranek vom 15.6.1981, in der er auf sechs dicht beschriebenen Seiten eine Menge von Einzelheiten erwähnt, inklusive, wer und wann Frau Cervanova zum Tanz gebeten hat, wen sie abgelehnt hatte und wie in ihrer Anwesenheit sich Herr Kocur mit Herrn Urbanek geprügelt hatten und so weiter? Was bezeugt die Zeugenaussage von Herrn Urbanek (den sogar im Jahre 1976 auch niemand der hundert Zeugen in der Diskothek gesehen hatte), der bis heute behauptet, dass Frau Cervanova direkt aus seinen Händen entführt wurde, wobei alle direkten Zeugen der Entführung im Jahre 1976 ausgesagt haben, dass die Entführte sicher alleine weggegangen ist? Nun sie zeigen, dass die Zeugenaussagen der Hauptzeugen nicht einmal eine kleine Spur wahr sind. Deswegen bleibt uns nichts anderes übrig, als sich auch von der zweiten Hypothese zu verabschieden.
- Die dritte Hypothese
Die obrigen Abschnitte bringen uns zu der dritten Hypothese, nämlich, dass die verurteilten Männer aus Nitra tatsächlich unschuldig sind. Was könnte diese Hypothese entkräften? Zum Beispiel, falls jemand beweisen könnte, dass man solche falschen und schrecklichen Beschuldigungen oder sogar Geständnisse einem Menschen nicht aufzwingen kann.
Stefan Michalik, der Senatsvorsitzende des Obersten Gerichtshofes der Slowakischen Republik hat in das Urteil im Jahr 2006 folgendes geschrieben: „Falls der Druck auf die Angeklagten so groß und so gesetzeswidrig wäre, wie die Verteidigung behauptet, dann hätten sich wahrscheinlich alle Angeklagten damals zu den Straftaten bekannt. Dies ist aber nicht passiert.“
Nun, die Logik ist keine Stärke von Richter Michalik. Druck kann verschiedene Formen der Ausübung haben und auch unterschiedliche Intensität. Für den Zeugen Skovranek reichte wahrscheinlich nur eine polizeilich durchgeführte Rekonstruktion der Diskothek, die er folgend in seiner Zeugenaussage im Jahre 2003 beschrieben hat: „Als ob sie uns in bestimmte Aufstellungen manipuliert hätten, die sie teilweise zufrieden stellten. Von mir habe ich dabei erfahren, dass ich neben der Geschädigten Cervanova auf dem Fenster gesessen bin. Es ist wirklich wahr, dass ich auf dem Fenster gesessen bin, ich habe Cervanova aber nie im Leben gesehen. Bei der Rekonstruktion habe ich erfahren, dass ich ein Zeuge sein sollte und zwei Stunden neben Cervanova gesessen bin.“
Welches Signal hat diese Rekonstruktion für Herrn Skovranek bedeutet? Falls er darauf weiter behaaren würde, dass er Cervanova nie im Leben gesehen hatte, könnte er zum Verdächtigen Nummer eins werden. Für einen reicht schon eine relativ sanfte Drohung (mit der sanften Aussicht auf die Todesstrafe). Woanders ist der Druck viel brutaler, wie zum Beispiel im Falle von Viera Zimakova- Vozarova, der aber trotzdem nicht vollkommen ausreichend wirksam war.
Die Frage bleibt aber weiter offen, ob es möglich ist, einen Menschen zu einem falschen Geständnis einer schweren Straftat oder sogar zu gegenseitigen Beschuldigungen bei den Konfrontationsverhören zu zwingen. Wahrscheinlich ist es möglich, falls man geeignete Methoden benutzt, wie zum Beispiel die Druckausübung durch Mithäftlinge in der Untersuchungshaft. In diesem Zusammenhang erwähnen wir zumindest die Herren Janzetic und Fagan. Der Psychologe Gejza Dobrotka, der im Jahre 1981 für vier der Verurteilten aus Nitra Todesstrafen auf Grund schlechter sozialer Prognosen empfahl (später lakonisch zugegeben hatte, dass er sich wohl irrte) hat beim Gericht im Jahre 1993 folgendes zu Herrn Janzetic erklärt: „Diesen Zeugen habe ich nicht in Erwägung gezogen und davon, dass er eingesetzt wurde, habe ich von den Polizisten erfahren, denen ich es auch vorgeworfen habe. Ich wusste davon, dass außer Herrn Janzetic noch einer dabei war, der ein Sadist war. Ich glaube es handelte sich um den Zeugen Fagan.“
Also ein Sadist. Ich glaube, die dritte Hypothese ist uns nicht gelungen zu widerlegen. Trotz der Tatsache dass uns der Genius Michalik geholfen hat.
EXKURS: Für kluge „Köpfchen“
- Wie ist es möglich, dass slowakische Gerichte die Männer aus Nitra wiederholt verurteilt haben? Warum haben sie die Tatsache nicht in Erwägung gezogen, dass niemand von den Angeklagten und Hauptzeugen in der Diskothek gesehen wurde?
(richtige Antwort: Bis zum Jahr 2004 war die Ermittlungsakte vom Jahr 1976 „verloren“ gewesen und die Gerichte konnten sich mit diesen nicht befassen. Mit diesem Teil der Ermittlungsakte, der schließlich im Polizeiarchiv im Levoca gefunden wurde, konnte sich erst der Senat des Obersten Gerichtshofes der Slowakischen Republik im Jahre 2006 befassen. Und dieser Senat hat sich entschieden, dass er sich einfach mit dem Teil nicht befassen wird- einfach nicht und Basta.)
- Wie ist es möglich dass die Gerichte im Jahre 2004 (Landesgerichtshof) und 2006 (Oberstes Gerichtshof) die Zeugenaussage von Herrn Skovranek vom Jahr 1982 berücksichtigten trotz der Informationen von manipulierten Ermittlungen, die dieser Mann den Gerichten erteilte?
(richtige Antwort: Die Gerichte sind nach der Überprüfung von Herrn Skovraneks Aussage zum Ablauf der Verhöre im Vorbereitungsverfahren von dem Jahr 1982 zur Meinung gekommen, dass: „die Aussagen im Vorbereitungsverfahren mit gesetzlichen Methoden getätigt wurden.“ Die Zeugenaussage von Herrn Skovranek haben sie als zweckmäßig, respektiv unter den Druck von Medien und im Streben den Angeklagten zu helfen gewertet. Also so. Zumindest haben wir jetzt eine Vorstellung davon, was das slowakische Oberste Gericht für ein rechtsmäßiges Verhör hält.)
.Martin Mojzis
Von Hunden und Menschen, Artikel "Tyzden Nr.46"
Orgiginallink: http://www.tyzden.sk/sk/spolocnost/o_psoch_a_ludoch.php?set_hodnotenie=5
Der Spürsinn von Hunden kann manchmal unglaubliche Dinge entdecken. Die spezielle Rasse Bloodhound (Bluthund) kann Leistungen erbringen, die fast an Wunder grenzen - zum Beispiel einen Bombenkonstrukteur auch nach der Bombenexplosion aufspüren. In den Experimenten von R. Stockhamm konnten diese Hunde den Konstrukteur einer explodierten Bombe richtig aufspüren und das in 53 von 80 Fällen. (Forensic Science Communications, 6/4, 2004).
Bei solchen Eigenschaften könnten wir erwarten, dass Hunde einen bestimmten Gegenstand relativ genau erkennen können, mit dem irgendein Mensch in der Vergangenheit in Berührung gekommen ist. In dieser Frage ist die wissenschaftliche Gemeinschaft überraschend enthaltsam. In vielen Ländern wurde die Spurensicherung mittels Spürhunden in den 70ern und 80ern viel genutzt, in der Realität hatte diese Methode jedoch keinen hohen wissenschaftlichen Status. Seriöse Tests der Verlässlichkeit dieser Methode wurden erst in den 90ern durchgeführt und führten zu keinen repräsentativen Ergebnissen. Holländische Untersuchungen von G. Schoon ergaben, dass der Erfolg der Hunde bei der Identifikation der Gegenstände, die von einer Versuchsperson vorher gehalten wurden, ungefähr bei nur 30 Prozent liegt (Journal of Forensic Sciences, 43/1, 1998).
Dies heißt aber noch lange nicht, dass es sich um eine völlig unzuverlässige Methode handelt. Bei der Nutzung von speziell trainierten Hunden der Rasse Bloodhound (Bluthund), die einen 60-fach stärkeren Geruchssinn als deutsche Schäferhunde haben, kann sich der Erfolg vervielfachen. Auf jedem Fall handelt es sich dabei noch um eine offene Frage, die noch weiter erforscht wird. Außer der Erforschung von Verlässlichkeit bei der Erkennung menschlicher Gerüche durch Hunde, werden Untersuchungen durchgeführt, die die Ursprünge, Besonderheiten und Charakteristika der menschlichen Gerüche erforschen. Dabei ist interessant, wie wenig wir darüber wissen. Es existieren ein paar Theorien, die sich mit den Ursprüngen menschlicher Gerüche beschäftigen, keine ist aber allgemein anerkannt. Wir wissen viel darüber, wodurch unser Geruch beeinflusst wird, von der Genetik bis hin zur Diät und Umgebung, aber unser Verständnis ist zu allen diesen Einflüssen noch immer unvollkommen. Wir wissen mittlerweile, welche chemischen Stoffe unseren Gerüchen zugrunde liegen, aber weiter haben wir dabei noch erhebliche Lücken. Hunde und Gelsen können in unserem Geruch Details erkennen, die wir mit unseren analytischen Methoden nicht erfassen können. Da die Dressur von Gelsen eher schwierig erscheint, sind Hunde das Beste, was wir für die Aufspürung von Gerüchen zur Disposition haben.
- Jeans
Im Fall Cervanova haben die Ermittler und die Staatsanwaltschaft Geruchsproben zur Überführung der Angeklagten benutzt. Im Bezug auf die nicht gerade hohe Verlässlichkeit der Methode (die in den vorigen Abschnitten erwähnt wurde) und der geringen Verlässlichkeit der Staatsanwaltschaft und Ermittlern bei der Beurteilung von wissenschaftlichen Fakten (erwähnt in den vorigen Artikeln) könnte man erwarten, das uns die Informationen von Geruchspuren wenig verraten werden. Das Gegenteil ist aber wahr.
Als die Kronzeugin bei den Gerichtsverhandlungen erklärte, dass sie am Tag der Tat nicht bei der Entführung, auch nicht bei der Vergewaltigung oder einem Mord von Ludmila Cervanova anwesend war, drohte dem Staatsanwalt die gesamte mühevoll erarbeitete Anklage fast einzustürzen. Er brauchte unbedingt etwas, was zumindest teilweise diesen unerwarteten Verlust kompensieren würde. So rückte er mit den Geruchsspuren, die ursprünglich nicht in der Anklageschrift vorkamen, aus.
Folglich ist beim Gericht ein schriftlicher Bericht von Miroslav Roznavsky aufgetaucht, wo ein Hund aufgrund von so genannten Geruchskonserven die Geruchspuren von Milos Kocur und Roman Brazda auf den Jeans von Ludmila Cervanova identifizierte. Dieser Zeuge war bei den Gerichtsverhandlungen nicht anwesend, die Verteidigung konnte ihm also keine Fragen stellen. Wie zum Beispiel, welches Zertifikat er für diese Expertise hat, oder wie die Expertise überhaupt stattgefunden hatte. Oder- und das wäre eine noch interessantere Frage – woher haben sie die Hosen von Ludmila Cervanova auf einmal gehabt, obwohl der Körper nackt vom Bauch bis unten aufgefunden wurde.
Der Senat des Berufungsgerichtes im Jahr 1983 kannte schon die Antwort auf diese Frage. Er wusste, dass es sich um Jeans von Ludmila Cervanova handelte, die nach der Tat im Schrank ihres Zimmers im Internat aufgefunden wurden. Es waren also Hosen, die Cervanova an dem schicksalsvollen Abend nicht angehabt hatte und dementsprechend hatten die Geruchsspuren der zwei Angeklagten keine Chance auf diese zu gelangen. Das Berufungsgericht hat deshalb entschieden, diese Geruchspuren als Beweis abzuweisen. Das war aber schade. Es handelte sich um einen sehr klaren Beweis. Die Geruchsspuren haben über die Täter ziemlich eindeutig ausgesagt. Zwar nicht über die Täter des Mordes an Ludmila Cervanova, aber anscheinend über die Täter einer anderen Straftat.
- T-Shirt und Bluse
Das war aber noch nicht alles zu den Geruchsspuren.
Das nächste famose Stück haben die Ermittler und der Staatsanwalt im Falle der Kronzeugin aufgeführt, die wegen doppelter Falschaussage angeklagt wurde. Wieso doppelte Falschaussage? Na ja, es war folgendermaßen:
Als sie Viera Zimakova- Vozarova schon zum x-ten Mal im Juni 1981 verhaftet hatten, haben sie von ihr während der zwei Tagen andauernden Verhöre eine „spontane“ Zeugenaussage zur Entführung, Vergewaltigung und Mord, die fünf Jahre zuvor am 9.7.1976 stattgefunden haben sollen, bekommen. Aufgrund dieser Zeugenaussage wurde sie zurück zu ihrem gestillten Kind gelassen. Vier Monate später kam sie aber mit dem Beweis, dass sie am inkriminierten Tag auf keinen Fall in Bratislava sein konnte. Dieser Beweis ist eine Bestätigung ihrer Anwesenheit an einem Rafting Ausflug an der Hron (Anm.: Fluss in der Slowakei), was durch die Medizinische Fakultät der Kommenius Universität bestätigt ist. Diese Bestätigung übergab sie den Ermittlern mit der Anmerkung, dass ihr Alibi von dreißig Zeugen bestätigt werden kann.
Die Ermittler und der Staatsanwalt haben diese Tatsache als Falschaussage klassifiziert und diese Kronzeugin dementsprechend für drei Wochen eingesperrt. Zum Kind wurde sie erst entlassen, als sie einer genialen Idee zustimmte, dass sie zwar am Rafting Ausflug anwesend war, aber sich an dem Abend unbemerkt von dort entfernt hatte, per Anhalter mehr als 150 km nach Bratislava gefahren ist, wo sie die Diskothek besuchte und bei der Entführung, kollektiver Vergewaltigung und Mord teilnahm, damit sie schnell in der Früh ins Zeltlager wiederkehren konnte. Diese in den Himmel schreiende Absurdität hat sie dann in allen Phasen des Vorbereitungsverfahrens bezeugt. Die Tatsache, dass sie sich aus dem Ausflugsort nicht entfernte, hat sie erst an der Gerichtsverhandlung wiederholt, womit sie wahrscheinlich drei oder vier Menschenleben gerettet hat. Ohne ihre „krönende“ Zeugenaussage konnten die Richter und der Staatsanwalt nicht so hoch keilen. Na ja, diese Aussage wurde aber von diesem Gericht als zweite Falschaussage klassifiziert.
Im Februar des Folgejahres hat sie das Bezirksgerichtshof Bratislava für zwei Jahre Strafe verurteilt, wogegen sie berufen hatte. Die Anklage hatte wahrscheinlich befürchtet, dass sich das Berufungsgericht für die Umstände ihrer „spontanen“ Zeugenaussage interessieren könnte. Zum Beispiel, warum ihre „spontane“ Aussage keine Erwähnung zu einem Rafting Ausflug beinhaltet, stattdessen vielerlei Details, die eigentlich dieser unsinniger Version des nächtlichen Ausflugs nach Bratislava und zurück vollkommen entgegen sprechen. Deswegen hat sich der Staatsanwalt entschlossen, einen neuen materiellen Beweis zu bringen, die am Bezirksgericht nicht erwähnt wurden.
Die Rede ist selbstverständlich von Geruchsspuren. Die dazugehörige Passage aus dem Beschluss des Landesgerichtshofes Bratislava vom 6.4.1983 beinhaltet ein wortwörtliches Zitat: „Wie die Geruchsidentität bei der Angeklagten Vozarova festgestellt wurde, wurde ebenfalls mit den Gerüchen vom T-Shirt, Pullover und Bluse der Ermordeten L. Cervanova bewiesen, dass die Angeklagte im Kontakt mit dieser war, also hat diese Zeugin an den Tagen 6.10.1981 und 23.8.1982 falsch ausgesagt.“
Also Moment mal. Den Körper von Ludmila Cervanova hat man tatsächlich in einer Bluse und einem Pulli aufgefunden. Das heißt, dass im Prozess mit den angeblichen Tätern die Ermittler auf den Vergleich der Geruchsspuren von den Jeans angewiesen waren, die am Tatort sicher nicht gefunden wurden. Im Prozess mit der Kronzeugin hatten sie aber auf einmal Kleidung, in derer das Opfer aufgefunden wurde, zur Verfügung. Und wie soll das bitte zueinander passen? Was für ein Spiel haben die Ermittler und die Staatsanwaltschaft gespielt? Irgendetwas stinkt im slowakischen Staat. Und um die Wahrheit zu sagen, braucht man keine Hunde dafür, diesen Gestank eindeutig zu identifizieren.
Exkurs: Für kluge "Köpfchen"
- Bei den Ermittlungen im Jahr 1976 war der Hauptverdächtige der Entführung und Mordes von Ludmila Cervanova Jan Hrmo. Was glauben sie, was haben die Geruchsspuren in seinem Fall gesagt?
(richtige Antwort: Der Bericht der ZNB (Polizei) der Hauptstadt Bratislava und desLandeskreises West vom Tag 28.9.1976 über Jan Hrmo und weitere zwei Beschuldigten besagt: „Weiters wurden ihnen Geruchsspuren entnommen und mit den Geruchsspuren der Sachen von Ludmila Cervanova verglichen, die in der Umgebung gefunden worden sind. Wie der Diensthund vom SVB Bratislava, als auch die Diensthunde vom SVB Brno bestätigen die Gleichheit dieser Spuren und den Geruchsspuren, entnommenen von Jan Hrmo.“ In der Causa Cervanova war von Anfang an gültig: „Wer einen schlagen möchte, findet den geeigneten Hund.“)
- Was folgt aus der Annahme, dass Vera Zimakova-Vozarova die Wahrheit sagt und sich nicht vom Ausflugsort entfernt hatte?
(richtige Antwort: Aus dieser Annahme folgt, dass sie entweder verrückt geworden ist und die gesamte Geschichte über den Aufbruch aus Revisske Podzamcie (Ausflugsortschaft) nach Bratislava und zurück erfunden hatte, womit sie sich selbst einen erheblichen Schaden zufügt hatte. Oder, dass ihr diese Konstruktion von den Ermittlern und den beaufsichtigten Staatsanwalt aufgezwungen wurde, womit diese einige schwere Straftaten begangen haben. Wenn wir schon die Angeklagten genannt haben, ist es wahrscheinlich angebracht, die andere Seite zu nennen. Von den vielen erwähnen wir zumindest den Ermittler Vladimir Lamacka und den Staatsanwalt Milan Valasik)
- Anhand vom Gutachten aus 23.2.1983 hat Viera Zimakova- Vozarova eine „Störung des Charakters und schwache moralische Qualitäten“ gezeigt. Ist dies eine zutreffende Charakteristik dieser Frau?
(richtige Antwort: Mit einer fast hundertprozentigen Wahrscheinlichkeit ist dies eine falsche Charakteristik. Frau Viera Zimakova- Vozarova hat einen starken Charakter und moralische Qualitäten gezeigt, die man nur selten findet. Sie hat etwas getan, zu dem viele von uns nicht fähig wären. Und dafür verdient sie wirklich Respekt und Dankbarkeit.
Nicht nur von den sieben aus Nitra stammenden Männern, sondern von uns allen.)
.martin Mojžiš
Der Band XXII., Artikel "Tyzden Nr.45"
Originallink: http://www.tyzden.sk/sk/spolocnost/zvazok_xxii.php
Die Anklage wegen Mordes und Vergewaltigung der aus Nitra stammender Männer hat 73 Seiten. Auf diesen 73 Seiten beschäftigen sich nur zwei mit den Ergebnissen der kriminalistischen Expertise. Der Rest beinhaltet nur die Tatbeschreibung und psychologisch- sexuelle Gutachten der Angeklagten.
Diese zwei Seiten widmen sich dem Obduktionsbericht und den hydrobiologischen Befunden von denen wir in unserem letzten Artikel berichtet hatten. Außerdem handelt dieser zweiseitige Teil der 73 Seiten langen Anklage noch von den Haaren noch von den Textilfäden, die am Körper des Opfers gefunden wurden. Diese wurden im Rahmen der Begutachtung des Tatortes im Juli 1976 gesichert und an die Kriminaldirektion des Innenministeriums in Prag geschickt. Das eindeutige Ergebnis der Prager Expertise war, wie es wörtlich in der Anklage fünf Jahre später steht: „Das trichologische Material ist in allen Proben menschlicher Herkunft. Alle Haare, außer zwei, die sich auf dem blauen Pulli von Ludmila Cervanova befanden, entsprechen den Haaren von Ludmila Cervanova.“
- Die Föderalbeamten
Wie sind die Föderalbeamten auf diese Tatsache gekommen? So, wie es in allen Laboratorien der Welt üblich ist, nämlich mittels Mikroskop. Fakt ist, dass man aus den Haaren eine chemische Analyse und eine DNA Analyse machen kann. Die Erste wird vor allem bei der Feststellung von fremdartigen Stoffen durchgeführt und die zweite ist mittlerweile gängig. Wir sprechen hier aber vom Jahr 1976.
Die Mikroskopische Analyse wird schon seit einhundert Jahren in der Kriminalistik durchgeführt. Obwohl sie nicht so präzise und eindeutig ist, wie zum Beispiel Daktyloskopie, kann sie aber viel aussagen. Laut Beitrag in Microscopy of Hair, publiziert im Januar 2004 in der Zeitschrift Forensic Science Communications, die von der FBI herausgegeben wird, ist es in einem mikroskopischen Vergleich zufällig entzogener Haare von verschiedenen Personen nicht üblich, dass man diese Haare nicht voneinander unterscheiden könnte. Der Vergleich der Haare ermöglicht somit keine absolut verlässliche Methode der Identifikation. Alle bisherigen Erfahrungen und unabhängige Labortests deuten aber darauf hin, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass zwei verschiedene Menschen die gleichen Haarcharakteristiken haben könnten. Bei der mikroskopischen Analyse einzelner Haare werden laut FBI - Regel die Zellenstruktur des Haarkortex, die Eigenschaften der Medulla (Mark der Haare), Cuticula (äußerste Schicht vom Haar) und fünf verschiedene Farbpigmente usw. untersucht. Beim Vergleich der Haare werden spezielle Vergleichsmikroskope benutzt, bei denen man zwei Proben gleichzeitig beobachten kann.
Mittels dieser Verfahren, was der schrittweise Vergleich einzelner Haare vom Tatort mit den Haaren von Ludmila Cervanova bedeutete, kamen die Prager Kriminalisten zum oben genannten Schluss, dass zwei Haare den Proben des Opfers nicht ähnelten und somit nicht identisch waren. Aus der Sicht der Weiterführung der Ermittlungen haben sie hiermit einen besonderen Trumpf bekommen. Falls die Haare eines x-beliebigen Verdächtigten der mikroskopischen Analyse der genannten zwei Haare entsprechen würden, wäre dies ein außerordentlich starkes Indiz für die Beteiligung an diesem Verbrechen.
Wie sind die Ermittler mit dieser potenziell überführenden Tatsache im Jahre 1981 umgegangen? Wie haben die Ermittler die Expertise der föderalen Kriminaldirektion des Innenministeriums bei der Festnahme der sieben aus Nitra stammenden Verdächtigen benutzt?
- XXII
Ein wörtliches Zitat auf Seite 55 vom 1.März 1982 lautet:
„Mit dem Vergleich der Haare der Angeklagten und den gesicherten Haaren am Körper von Ludmila Cervanova wurde festgestellt, dass sich die variable Streuung einiger Haare, gefunden am blauen Pullover von Ludmila Cervanova, mit den Haaren von Ludmila Cervanova und gleichfalls mit den Haaren vom Angeklagten Roman Brazda decken. Deswegen ist nicht auszuschließen, dass die Haare, gefunden am blauen Pullover von Ludmila Cervanova (Nr.1. 5/5 und 5/6), also Haare vom Angeklagten Roman Brazda sind. Die Haare des Angeklagten Lachman besitzen ähnliche morphologische Eigenschaften wie die Haare der L. Cervanova. Deswegen ist nicht auszuschließen, dass einiger der Haare, die morphologische Ähnlichkeiten mit den Haaren von L. Cervanova haben, auch Haare von J. Lachman sind. (Band XXII.,Nr.1. 1889 und folg.)“ Ende des Zitats.
Kein Zusammenhang mit den zwei fremden Haaren, nichts dergleichen. Nur eine vage Feststellung partieller Ähnlichkeit der Haare zweier Angeklagten mit den Haaren vom Opfer. Solche Haare wurden am Opfer mehr als genug gefunden. Was könnte man dazu sagen? Wahrscheinlich nur soviel, dass die Anklage vier Todesstrafen verlangte.
Die Staatsanwaltschaft hat noch ein weiteres spektakuläres „corpus delicti“ gefunden. Wieder ein wörtliches Zitat aus der Seite 55 der Anklage:
„Aus dem Gutachten der Föderalen Kriminaldirektion VB (Band XXII. Nr.1.1910 ff.) erfolgt weiter, dass die Textilfäden des Farbton schwarz 1990 und rot 8190, gesichert an der Kleidung von L.Cervanova, ähnliche Farbtöne wie die gesicherten Textilfäden aus dem Fahrzeug Kennzeichen NRA 15-76 (Fahrzeug von Roman Brazda) aufweisen.“
Das ist Alles. Mehr werden sie zu den Haaren und Textilfäden in den Akten nicht erfahren. Wie ist aber dies möglich? Immerhin, falls eine gründliche mikroskopische Analyse der Haare ausgeführt wurde, dann müsste es mit einer hoher Wahrscheinlichkeit klar sein, dass die zwei fremden Haare, gefunden am Pullover der L. Cervanova, jemanden von den Angeklagten gehören müssten. Und falls die Experten Textilfäden aus dem Fahrzeugbezug und vom Körper des Opfer zur Disposition hatten, was hat sie dann daran gehindert zu untersuchen, ob es sich um die gleichen Textilfäden handelt? Warum haben sie nur die Farbe und nicht auch die chemische Zusammensetzung verglichen? Nochmals: Wie ist es möglich, dass die Anklage so jämmerlich wenig zur Frage der Haare und Textilfäden enthält?
Naja, es ist nicht auszuschließen, dass im Jahr 1981 keine richtigen Vergleiche der Haare und Textilfäden durchgeführt wurden. Man hat schließlich in der Anklage diese oben genannten Tatsachen eingefügt. Wahrscheinlich nur, damit zumindest etwas, was im weitesten Sinne materiellen Beweisen ähnelt in der Anklage enthalten ist. Es ist aber ebenfalls nicht auszuschließen, dass die Vergleiche ordentlich gemacht wurden, diese aber überhaupt nicht mit der Anklage übereinstimmten und deswegen nur das oben genannte zitierte Bruchstück der Expertise eingefügt wurde.
- 22.00
Tatsächlich kann man es nicht ausschließen? Tatsächlich ist es möglich, dass die sozialistische Staatsanwaltschaft die Fakten dermaßen brutal zu Ungunsten der Angeklagten verdrehte? Die alleinige Anklage liefert uns keine weiteren wissenschaftlichen Argumente. Deswegen versuchen wir an die Logik anderer eingeführten Argumente anzuknüpfen. Ein Zitat aus der Seite 30 der Anklage vom Jahr 1982 lautet:
„Zeuge Lukas Karabinos (Band XVI. Nr.1.1450 und folg.) hat in seiner Aussage angeführt, dass er im Sommer 1976, auf den Tag kann er sich nicht mehr erinnern, ungefähr um 22.00 Uhr in der Nähe der Bushalterstelle beim Internat in Mlynska dolina, von einem Auto, das ihn geblendet hatte, fast überfahren wurde. Das Auto blieb stehen, ein junger Mann ist ausgestiegen. Dieser Mann hatte eher helle Haare, war dünner und eher größer. Er ist zum Zeugen gerannt und hat ihm Prügel angedroht. Dieser junge Mann ist aber anschließend auf Befehl des Fahrers wieder ins Auto eingestiegen, das weiter in Richtung Stadt gefahren ist. Das Auto hatte eine helle Farbe.“
Dieser Abschnitt bedeutet alleine nichts besonders. Alles ändert sich, wenn man ihn mit der ursprünglichen Zeugenaussage von Lukas Karabinos vergleicht. Es ist das Vernehmungsprotokoll der Verwaltung der ZNB (Bundespolizei) der Hauptstadt Bratislava Nummer VB-689/10-1976 aus dem Tag 28.9.1976. Dort steht dasselbe, was in der zitierten Anklage angeführt wurde, aber außerdem noch folgendes Detail:
„Bei weiteren Verhören hat er angeführt, dass er den Mann, der ihn am Halskragen gefasst hatte und verprügeln wollte, vom Sehen kennt. Dieser Mann studiert Sport und wohnt im Block K der Atriumhäuser des Ludovit Stur Internates. Konkret hat er die Türnummer 8 genannt…Dem Zeugen Karabinos wurden Fotos der Studenten, die in Block K wohnen, gezeigt. Unter diesen befand sich auch das Foto von Jan Hrma, der tatsächlich auf Zimmernummer 8 gewohnt hatte. Der Zeuge Karabinos hat eindeutig auf den genannten gezeigt. Ich füge hinzu, dass der Zeuge Karabinos ein Alkoholiker mit einem sehr geringen Intellekt ist.“
Jan Hrmo war bei den Ermittlungen des Mordes an Ludmila Cervanova im Jahr 1976 der Hauptverdächtige. Er wurde aber wegen einem eindeutigen und schwer anzweifelbaren Alibis entlassen. Dies bedeutet, dass die Zeugenaussage von Karabinos gegen Hrma evident eine falsche war. Die Ermittler mussten doch im Jahr 1981 wissen, dass dieser Zeuge überhaupt nicht glaubwürdig ist. Wie ist es dann aber möglich, dass aus ihm 1982 ein Zeuge der Anklage gemacht wurde?
Nicht auszuschließen ist, dass gerade solche Zeugen, die das bezeugt haben, was man von ihnen verlangte, für die Staatsanwaltschaft enorm interessant waren. Es ist auch nicht auszuschließen, dass, falls sie nicht genügend Zeugen gehabt hat, einfach welche instruiert hat. Und wir können überhaupt nicht ausschließen, dass wir in der nächsten Folge mehr dazu schreiben.
Exkurs für kluge Köpfe:
- Falls die Anklage solche Löcher hatte, wie ist es möglich, dass ihr die Gerichte und die Öffentlichkeit geglaubt haben?
(richige Antwort: Das Gericht und die Öffentlichkeit haben den Geständnissen einiger Angeklagten geglaubt, die der Hauptteil der Anklage bildeten. Das Gericht und die Öffentlichkeit haben den Angeklagten nicht geglaubt, dass diese Geständnisse mittels systematischen psychischen und physischen Drucks erpresst wurden.)
- Die Ermittler und der beaufsichtigte Staatsanwalt meinen, dass die Geständnisse spontan getätigt wurden, die Verurteilten und viele Zeugen meinen, dass sie erpresst wurden. Kann man feststellen, wer von ihnen Recht hat?
(richtige Antwort: Ja, man kann es sogar sehr eindeutig feststellen. Die Frage lautet nur, ob es die slowakischen Gerichte interessiert. Die Antwort lautet: ES INTERESSIERT SIE NICHT.)
.martin Mojžiš